Kürzlich hörte ich an einem Anlass von einem Vertreter der Verpackungsindustrie Erstaunliches. Er klagte darüber, dass die Lieferketten in seiner Industrie überhaupt nicht funktionierten. Es fehle an allen Ecken und Enden an Rohmaterialien, etwa an Plastik. Die Folge: Abnehmer zahlten jeden Preis, um an die Ware zu kommen und produzieren zu können. In seiner Industrie seien derzeit fünfmal so hohe Materialpreise wie sonst keine Ausnahme.

Dies mag erklären, weshalb vor allem vonseiten der Exportindustrie kaum Wehklagen über die Aufwertung des Frankens in den letzten Monaten zu hören ist. Die Unternehmen sind ganz offensichtlich mit anderen, gröberen Problemen beschäftigt als der Entwicklung der Landeswährung. Die hat sich nicht zu knapp aufgewertet: Fast 6 Prozent sind es gegenüber dem Euro, seit die Schweizerische Nationalbank Mitte Juni den Leitzins von minus 0,75 auf minus 0,25 Prozent verringert hatte.

Reaktionen auf eine Frankenstärke waren in der Vergangenheit noch anders. Vor allem vor der Einführung der Kursuntergrenze zum Euro (im September 2011) und nach deren Abschaffung (im Januar 2015) gingen die betroffenen Industrien und Interessengruppen auf die Barrikaden:  Die Exportindustrie, der Tourismus, die Gewerkschaften und all ihre politischen Fürsprecher in Bern und den Kantonsparlamenten.

Doch die Beschäftigung der Unternehmen mit der Lieferkettenproblematik ist nur eine Erklärung für die derzeitige, fast schon unheimliche Ruhe. Die Schweizer Industrie und Wirtschaft hat sich dank konstanter struktureller Anpassungen in den letzten 15 Jahren, als die Aufwertung der Landeswährung zum Euro begann, an den starken Franken gewöhnt. 

Vor allem aber: Die seit letztem Jahr allerorten steigende Inflation spielt der Schweizerischen Nationalbank in die Hände. Zwar liegt die Teuerungsrate hierzulande mit 3,4 Prozent ungewohnt hoch. Im Euroraum, aber auch in den USA oder vor allem in Grossbritannien sind die Inflationsraten indes fast dreimal höher. Dort sehen sich die Unternehmen also mit viel grösseren Preissteigerungen konfrontiert - was die teureren Preise für Schweizer Produkte im Ausland wegen des starken Frankens wieder nivelliert. Die SNB kann also eine gewisse Frankenaufwertung zulassen, ohne dass die einheimische Exportindustrie grossen Schaden nimmt.

Dennoch wird die SNB einer weiteren, auch langsamen und unspektakulären Aufwertung der Schweizer Währung kaum tatenlos zusehen. Einige Marktbeobachter sehen die "Interventionsschwelle" der SNB schon bei 95 Rappen pro Euro. Das ist nur noch wenig entfernt von den 95,52 Rappen, welche das Währungspaar am Dienstag erreicht hatte.

Es würde also nicht erstaunen, wenn die SNB bei der nächsten geldpolitischen Lagebeurteilung Mitte September Äusserungen pro Abschwächung des Frankens tätigen würde - und auch vorher oder nachher am Devisenmarkt wieder Fremdwährungen kaufen würde.

Die Schweizer Notenbank rund um Präsident Thomas Jordan weiss aber nach 15 Jahren Devisenmarktinterventionen genau: Solche Interventionen nützen nur kurz- oder allenfalls mittelfristig etwas. Langfristig, das zeigt der Euro-Franken-Chart unten von 1999 bis heute, war auch der Einsatz einer hohen dreistelligen Milliardensumme durch die SNB an den Devisenmärkten nicht hilfreich, um der Aufwertung der Frankens zum Euro Einhalt zu gebieten.

Die geopolitische Lage und die konjunkturellen Aussichten sprechen sowieso nicht für ein Abschwächen des Frankens. Und das Misstrauen der Investoren in die Eurozone und deren Geldpolitik - es ist der steteste Garant für die Aufwertung des Frankens.

Kursentwicklung des Euro zum Franken seit dem 1. Januar 1999, der Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung, bis heute (Quelle: Bloomberg).