Der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sei zwar nicht der favorisierte Weg der GLP, aber er sei eine "valable Alternative", die ernsthaft diskutiert werden müsse, sagte der GLP-Chef Jürg Grossen in einem Interview mit Zeitungen des Tamedia-Verlags (Samstagausgabe).
Denn der EWR mit Norwegen, Island und Liechtenstein funktioniere gut. Ein Beitritt biete den vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt, die Teilhabe an der europäischen Forschungszusammenarbeit, an der Stromversorgung, und er enthalte Mechanismen für die Konfliktlösung. Die Rechtsübernahme erfolge nicht automatisch, sondern dynamisch.
Abkommen "à la Grossbritannien"
Als weitere Option nannte Grossen auch ein Freihandelsabkommen "à la Grossbritannien". Damit würde die Schweiz aber "hochkant" aus dem europäischen Binnenmarkt fliegen. Ein EU-Beitritt steht für Grossen "im Moment nicht zur Diskussion".
Grossen hält den Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen für einen "krassen Fehlentscheid" und "das grösste Armutszeugnis" des Bundesrats. Dieser habe kollektiv versagt, doch die FDP trage die Hauptverantwortung. Die Freisinnigen seien nicht mehr regierungstauglich.
FDP-Präsidentin Petra Gössi sieht dies anders. Die FDP-Bundesräte, unter deren Fittichen das Rahmenabkommen in den vergangenen Jahren massgeblich stand, seien nicht Schuld am Scheitern. Die Exekutive sei eine Kollegialbehörde - es brauche einen Mehrheitsentscheid. Das Scheitern sei zudem kein "Scherbenhaufen". Man komme nämlich jetzt einen Schritt weiter.
"Die Bilateralen bleiben der Königsweg", sagte Gössi am Samstag auf Radio SRF weiter. Deren Vorteile dürften nicht weg erodieren. Die Partei habe kein Interesse am EU-Beitritt und kein Interesse "nur an einem Freihandelsabkommen". Auch der EWR-Beitritt sei kein Thema.
Eine Verhandlungsmasse mit der EU sei jetzt etwa die Kohäsionsmilliarde, dafür müsse die Schweiz aber auch etwas bekommen. Weiter müsse man den Freihandel voranbringen. Da seien noch viele Punkte offen, die noch nicht diskutiert würden. Und schliesslich gebe es innenpolitische Punkte, die jetzt angegangen werden müssten.
Koalitionen ausloten
Die Partei hat ihre Vorstellungen davon, wie es jetzt in der Schweiz weiter gehen könnte, mit einem Dreisäulenprogramm bereits vorgelegt. Der Plan besteht aus dem Festhalten an den Bilateralen, neuen Partnerschaften mit Drittstaaten ausserhalb der EU sowie einem "nationalen Fitnessprogramm".
"Da müssen wir jetzt schauen, mit welchen Parteien wir zusammenarbeiten können", sagte Gössi. "Mit der SP kann die FDP nicht zusammenarbeiten, wenn es ihnen darum geht, einen EU-Beitritt anzustreben", sagte Gössi. Gemäss der "Sonntagszeitung" will die SP am Dienstag einen entsprechenden Vorstoss ausarbeiten.
Die Unia wiederum will, dass in vier Bereichen "ein starkes Zeichen der Zusammenarbeit" an die EU gesendet wird, wie die Delegierten am Samstag an ihrem Kongress entschieden. Die Schweiz soll etwa die Grundsätze der "Europäischen Säule sozialer Rechte" übernehmen. Diese hätten zum Teil deutlich bessere Standards für Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte.
Zudem soll die Schweiz die Aufenthaltssicherheit und die sozialen Rechte von EU-Bürgerinnen und -Bürgern stärken - namentlich im Fall von Arbeitslosigkeit. So würden Kernelemente der Unionsbürgerrichtlinie umgesetzt. Diese war einer der Knackpunkte, die zum Abbruch der Verhandlungen mit der über das Rahmenabkommen führten.
"Grossen Schritt" auf EU zu machen
Die Schweiz müsse zudem von sich aus einen "grossen Schritt" auf die EU zugehen und eine enge Absprache der Steuerstandards sowie eine Mindestbesteuerung der Unternehmen anstreben. Schliesslich soll die Schweiz die praktische Zusammenarbeit vertiefen mit einer Assoziation mit der Europäischen Arbeitsagentur und mit "grosszügigen Beiträgen" im Rahmen des Kohäsionsfonds und der Bildungszusammenarbeit.
Die Schweizer Regierung ihrerseits plant, die Gesetzgebung punktuell und einseitig an EU-Regeln anzupassen. Das Justizdepartement von Karin Keller-Sutter wurde beauftragt, zu prüfen, wie das bilaterale Verhältnis "mit möglichen autonomen Anpassungen im nationalen Recht stabilisiert werden könnte." Eine rechtliche Angleichung sei sinnvoll und im gegenseitigen Interesse, sagte Keller-Sutter dazu. Dieser Prozess soll autonom und unter Einbezug der Sozialpartner und der Kantone erfolgen.
(AWP)