Die Diskussion um eine mögliche Energiekrise im nächsten Winter nimmt immer mehr Fahrt auf. Inzwischen ist offenbar geworden, dass der russische Präsident Wladimir Putin, der seit Februar Krieg gegen das Nachbarland Ukraine führt, den Westen mit Gaslieferungen unter Druck setzen will. Die hohe Abhängigkeit Europas von russischem Gas betrifft auch die Schweiz. Wenn Russland Erdgaslieferungen in den nächsten Monaten weiter einschränkt oder gar stoppt, dürfte dieser Energieträger schnell auch in der Schweiz fehlen.

Darüber hinaus droht der Schweiz auch Strommangel. Eine drohende Energiekrise betrifft Privathaushalte, die persönlichen Finanzen eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung wie auch die Unternehmen. Gas spielt vor allem für Industrieunternehmen eine Rolle, von einem eingeschränkten Strombezug wären alle Teile der Wirtschaft alle betroffen.

Ein Drittel der Industrie braucht Erdgas

Die Schweizer MEM-Industrie - Maschinenbau, Elektrotechnik und Metallverarbeitung - deckt etwa ein Drittel ihres Energiebedarfs über Erdgas. Bei Wohnhäusern ist Gas laut dem Bundesamt für Statistik für knapp 21 Prozent der Hauptenergieträger für Heizungen. Bei 39 Prozent ist es Heizöl, das im Winter nach heutigem Stand ausreichend verfügbar sein dürfte, knapp 18 Prozent der Gebäude haben eine Wärmepumpe, 10 Prozent werden mit Holz beheizt, beim Rest ist Fernwärme oder Elektrizität Hauptquelle fürs Heizen. 

Insgesamt ist die Schweiz weniger von Erdgas und damit auch von russischen Importen abhängig als Deutschland. Dort ist die Energiekrise und Massnahmen gegen eine solche seit Wochen politisch und gesellschaftlich das Thema Nummer Eins. Seit Mitte Juli fliesst nur noch etwa 20 Prozent der möglichen Gasmenge durch die wichtige Ostseepipeline Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland. Die zuständige Bundesnetzagentur schätzt, dass bei theoretisch voll gefüllten Speichern bei einem totalen Gaslieferstopp aus Russland die Reserven nach drei Monaten aufgebraucht wären. 

Streit oder Kooperation mit den Nachbarn?

Für die EU-Länder gilt bis im März, mit gewissen Ausnahmen, ein Sparziel von 15 Prozent des Verbrauchs. In der Schweiz gibt es im Moment keine Sparziele. Der Bund bereitet nach eigenen Aussagen eine "Sensibilisierungskampagne" vor, um die Bevölkerung zum Energiesparen zu bewegen. Da die Schweiz selber nicht über Gasspeichermöglichkeiten und keinen direkten Zugang zu Flüssiggas-Terminals verfügt, ist sie von kontinuierlichen Lieferungen über die Nachbarländer angewiesen.

In einem europäischen Verteilkampf um Gas könnte es für die Schweiz eng werden. Der Bundesrat versucht, die Gaslieferungen mittels Solidaritätsabkommen mit Nachbarländern abzusichern. Am Wochenende berichtete mit Bezug auf die Bundesverwaltung die "Sonntagszeitung", die Schweiz würde im Notfall auch mehr Gas als vertraglich geregelt aus einer Pipeline entnehmen, die Deutschland mit Italien verbindet. Dies hat allerdings ablehnende Reaktionen in Italien hervorgerufen.  

Es wird auch nicht ausgeschlossen, dass der Erdgaspreis, der innert Jahresfrist um 143 Prozent angestiegen ist, bei weniger Nachfrage in den nächsten Monaten gar wieder sinken könnte. Realistischerweise müssen private und industrielle Betreiber von Gasanlagen aber mit deutlich höheren Kosten rechnen. Dabei ist auch der Preis für Heizöl gestiegen. 

Ein Teil des Stroms könnte fehlen

Nicht nur Energie zum Heizen, sondern auch Strom wird im Winter mehr nachgefragt. In der Schweiz kann nicht die gesamte benötigte Menge Strom hergestellt werden und ein Teil muss importiert werden. Derzeit stehen allerdings rund die Hälfte der Atomkraftwerke in Frankreich still, von denen die Schweiz Strom bezieht. In Deutschland wiederum wird das zur Zeit knapp werdende Gut Gas benötigt, im in Gaskraftwerken Strom herzustellen.

Schätzungen zufolge kann die Schweiz nur 90 Prozent des Strombedarfs im Winter selbst decken, wobei die fehlende Menge nicht konstant 10 Prozent beträgt, sondern über die Monate schwanken kann. Ein trockener Sommer wie jetzt, wo die Wasserstände tief sind, verschärft das Problem für Kraftwerke an Stauseen und in Flüssen. In Notfall würden sowohl bei Gas als auch beim Strom zuerst die Grossverbraucher zum Sparen verdonnert, bei sehr grosser Knappheit mit der Zeit auch Privathaushalte. Rationierungen sind möglich.

Die Versorgungslage im Winter ist abhängig von vielen "wenns" und lässt sich deswegen nicht leicht voraussagen. Der russische Krieg gegen die Ukraine und dessen Verlauf wie auch das Verhalten der russischen Regierung zum Rest der Welt spielen genauso eine Rolle wie die Weltkonjunktur und die weltweite Energienachfrage und Wettereinflüsse.

cash.ch fragt Leserinnen und Leser : Was erwarten Sie bezüglich der Versorgung der Schweiz mit Gas und Strom im Winter?