Laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die EU kurzfristig die Preise begrenzen und längerfristig die Korrelation zwischen den Preisen für Gas und Strom kappen. Sie nannte zwar keine Einzelheiten, aber die Marschrichtung verrät ein wachsendes Gefühl der Panik in Brüssel.
"Wir brauchen ein Notfallinstrument, das schneller greift. Da sprechen wir von Wochen", sagte sie Montagabend in Berlin. "Und dann müssen wir eine tiefgreifende, strukturelle Reform des Strommarktes machen. Das wird Beginn des nächsten Jahres sein."
Der beispiellose Anstieg der Strompreise, die sich im letzten Jahr fast verzehnfacht haben, heizt die Inflation an und belastet Unternehmen und Haushalte. Die Politik befürchtet nun, dass Moskau den Gashahn zudrehen könnte, um die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.
Die Vorbereitung auf den Winter laufen derweil auf Hochtouren: Die Gasspeicher werden gefüllt und diese Bemühungen tragen erste Früchte. Die Reserven in der EU lagen am 27. August bei 79,4 Prozent der Speicherkapazität und nähern sich damit bereits dem Ziel von 80 Prozent, welches erst zum 1. November angepeilt worden war.
Immer mehr Mitgliedsstaaten fordern eine Preisobergrenze
Von der Leyen nannte zwar keine Details für die geplanten Massnahmen, aber immer mehr Mitgliedsstaaten fordern eine Preisobergrenze. Die Tschechische Republik, die den rotierenden EU-Vorsitz innehat, hat für den 9. September eine ausserordentliche Sitzung der Energieminister einberufen. EU-Diplomaten zufolge könnte die Kommission bereits diese Woche einen detaillierten Plan vorlegen.
Aus einem Entwurf eines internen EU-Dokuments, das Bloomberg News Anfang des Jahres einsehen konnte, ging hervor, dass die Kommission die Möglichkeit einer Deckelung der Gaspreise in Erwägung zog, um "untragbar hohe" Kosten zu vermeiden, falls Russland die Gaszufuhr erheblich einschränkt oder unterbricht. Eine Möglichkeit hierfür wäre die Begrenzung des Preises an den europäischen Gasbörsen.
Die Einführung eines regulierten Höchstpreises wäre temporär und Marktpreise sollten so lange wie möglich gelten.
Da Russland die Gaslieferungen weiter drosselt und Ausfälle von Kraftwerken die Versorgung zusätzlich beeinträchtigen, wächst der Druck auf die EU, schnell zu handeln, um Unruhen und politische Turbulenzen zu vermeiden.
Preusexplosion verdeutlichen Grenzen des Strommarktes
Die in die Höhe schiessenden Strompreise verdeutlichten die Grenzen der derzeitigen Ausgestaltung des Strommarktes, sagte von der Leyen am Montag auf einem Strategiegipfel in Bled in Slowenien. Das aktuelle System sei "unter völlig anderen Umständen und zu völlig anderen Zwecken" entwickelt worden, fügte sie hinzu.
Bundeswirtschafsminister Robert Habeck schlug vor, eine kurzfristige Steuer auf Gewinne von Energieunternehmen als Teil einer Übergangslösung in Betracht zu ziehen. Dieses Geld würde den Unternehmen entzogen und zur Wahrung des sozialen Friedens und zur Finanzierung von Beihilfen für Unternehmen verwendet, bis ein neues System in Kraft sei, sagte er.
Die europäischen Energiepreise setzten angesichts der Brüsseler Pläne ihren Rückgang vom Montag fort. Deutsche Stromkontrakte für nächstes Jahr fielen um bis zu 26 Prozent, niederländische Erdgaspreise um bis zu 11 Prozent. Sie hatten letzte Woche Rekordstände erreicht.
Die Preisspitzen und die fehlenden russischen Lieferungen setzen auch Versorger weiter unter Druck. Der deutsche Gasversorger Uniper SE hat bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau eine Ausweitung seiner Notkreditlinie auf 13 Milliarden Euro beantragt. In Wien gehen Verhandlungen zu Beihilfe der Bundesregierung für den Versorger der Hauptstadt Wien Energie GmbH forgesetzt.
Die European Energy Exchange AG sagte, Händler bräuchten mehr staatliche Unterstützung, um Käufe und Verkäufe zu garantieren, insbesondere angesichts der ungewöhnlich volatilen Märkte.
Lösung am 9. September?
An der EU-Front bemüht sich der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala um Unterstützung für seinen Plan für eine Preisobergrenze und erörterte ihn am Montag mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Prag.
Scholz sagte Reportern auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, er sei dankbar für den tschechischen Vorschlag und zeigte sich zuversichtlich, dass die EU schnell eine Einigung erzielen werde.
"Wir werden sehr sorgfältig prüfen, welche Instrumente wir haben, um die Strompreise zu senken", so Scholz. "Es muss in technischem Sinne funktionieren, aber offensichtlich spiegelt das, was jetzt als Marktpreis festgelegt wird, nicht wirklich Angebot und Nachfrage wider."
Tschechien will versuchen, noch vor dem Treffen der Energieminister am 9. September in Brüssel eine Lösung zu finden. Eine Entkopplung der Strompreise von den Gaspreisen sei einer der Wege, der in Betracht gezogen werden könnte, so Fiala.
Jozef Sikela, der dortige Minister für Industrie und Handel, schlug am Montag vor, die Preise für Erdgas zur Stromerzeugung zu kappen. Allerdings dürfe die Union nicht zu sehr am Markt intervenieren oder selbst Spekulation anfachen.
Hilfen drohen zu verpuffen
Die EU-Mitgliedsstaaten haben bereits rund 280 Milliarden Euro für Steuersenkungen, Subventionen und andere Massnahmen bereitgestellt, um die Folgen der steigenden Energiepreise für Unternehmen und Verbraucher zu mildern. Doch die Hilfe droht angesichts des Ausmasses der Krise zu verpuffen. Hinzu kommen Energiesparprojekte, die zum EU-Ziel einer Senkung des Gasverbrauchs um 15 Prozent beitragen sollen.
Der belgische Premierminister Alexander De Croo sagte am Montag, es sei Zeit für die EU zu handeln.
"Ich denke wirklich, dass wir eingreifen sollten, weil die Kosten der Unsicherheit wirklich unerträglich werden", so De Croo auf einer Energiekonferenz in Norwegen.
(Bloomberg)