Es ist ja in den letzten Wochen so etwas wie eine Eltern-Kinder-Beziehung zwischen dem Bundesrat und der Schweizer Bevölkerung entstanden. Die Eltern sagen ihren Schützlingen, wie sie sich in der Coronakrise zu verhalten haben ("Bleiben Sie zu Hause. Alle"). Es gibt Lob ("Die Bevölkerung hat sich grossartig verhalten"), aber stets ein unterschwelliger Wink mit dem Zaunpfahl ("Wir müssen diszipliniert bleiben und den ganzen Weg gehen").

Leadership und eine klare, unmissverständliche Kommunikation sind in Krisenzeiten unabdingbar. Das mag autoritär tönen, gilt aber auch für einen liberalen Staat wie die Eidgenossenschaft, die mit Notrecht notabene gleich sieben Grundrechte eingeschränkt hat. Umso wichtiger, dass diese Krisenkommunikation glaubwürdig rüberkommt. Das scheint grösstenteils gelungen zu sein. Dennoch beschlichen mich einige Zweifel in den letzten Wochen.

Da wurde Mitte März der Bevölkerung versichert, es seien in der Schweiz genügend Vorräte angelegt, auch bei Medikamenten. Kurz darauf schränkte der Bundesrat die Abgabe von Medikamenten kurzerhand ein. Die Situation in Tessinern Spitälern sei "dramatisch", sagte ebenfalls Mitte März Daniel Koch, Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), der um seinen Job nicht zu beneiden ist. Tags darauf kam die verstimmte Replik des Medizinischen Leiters der Kantonsspitäler Tessin via Zeitung: "Wir sind längst noch nicht am Anschlag".

Ein Journalist wollte von Koch kürzlich auch wissen, wie hoch die Sterblichkeitsrate der hospitalisierten Corona-Patienten über 65 Jahre sei. "Das weiss ich nicht", sagte der BAG-Mann. Das ist zwar ehrlich, aber irritierend.

Schliesslich die Kontroverse mit den Schutzmasken. Deren Nutzen sei wissenschaftlich nicht erwiesen, so der Standpunkt des BAG in den letzten Wochen. Nun schliesst Bundesrat Alain Berset eine bundesrätliche Empfehlung zum Tragen von Schutzmasken in der Öffentlichkeit nicht mehr aus. Der Hintergrund dabei, den mittlerweile fast alle wissen: In der Schweiz gibt es gar nicht ausreichend Schutzmasken für die Bevölkerung.

Ist solches Herumlavieren Teil eines Manövers, um Panik in der Bevölkerung zu verhindern? Das wäre zu Beginn einer Notlage allenfalls noch nachvollziehbar.

Nun aber beginnt ab 26. April die Phase der Lockerung des "Lockdowns". Für die Schweizer Wirtschaft sind diese Schritte von enormer Bedeutung. Der graduelle Wiedereinstieg ins "normale" Leben bringt aber noch viel mehr Unabwägbarkeiten und Unsicherheiten als der Lockdown selber. Weshalb dürfen Geschäfte gewisser Branchen früher öffnen als andere? Weshalb sollen wir unsere Smartphone-Daten preisgeben, um Infizierte zu erkennen? Warum sollen Firmen bei ihren Mitarbeitern laut BAG keine Corona-Tests durchführen, obwohl in der Schweiz mittlerweile genügend Test-Kits vorhanden sind?

Antworten auf diese Fragen erfordern maximale Transparenz und ertragen keine Doppeldeutigkeiten. Sonst läuft man in Gefahr, die Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.