Die Schweiz habe sich immer weiter vom 2018 im Entwurf des Rahmenabkommens gefundenen Kompromiss entfernt, heisst es in dem der Nachrichtenagentur Keystone-SDA seit Freitagmorgen vorliegenden Schreiben. Zuerst hatten Schweizer Radio und Fernsehen SRF am Donnerstagabend darüber berichtet.

Es sei auch in sechs Treffen mit Chefunterhändlerin Livia Leu nicht klar geworden, was das Land wolle. Einen Fahrplan habe die Schweiz zurückgewiesen. Es gebe sowohl beim Prozess als auch beim Inhalt keine Fortschritte.

Der auf Englisch verfasste Brief geht hart ins Gericht mit der Schweizer Landesregierung. Auf Vorschläge der Kommission zu den drei offenen Punkten Lohnschutz, staatliche Beihilfen und die Unionsbürgerrichtlinie über den Zugang zum Sozialsystem musste die Kommission einen Monat lang auf Antwort warten.

Die Schweizer Seite wandte sich nie aktiv mit Lösungsvorschlägen an die EU-Kommission, wie es weiter heisst. Sie wartete demnach immer auf die EU-Seite. Einen Durchbruch habe es nicht gegeben und die Absichten der Schweiz seien der EU-Kommission zu wenig bekannt gewesen.

Interesselosigkeit in der Schweiz

Die EU-Kommission bekam gemäss dem Protokoll den Eindruck, dass niemand in der Landesregierung an dem Abkommen wirklich Interesse hat. In den Treffen unterstrich Leu demnach immer, dass sich der Fokus bei einem Scheitern des Rahmenabkommens auf die bestehenden Abkommen richten sollte.

Für ein Treffen auf präsidialer Ebene heisst es im Protokoll, das Datum vom 23. April stehe im Raum. Hinsichtlich möglicher Resultate steht dort, bei den staatlichen Beihilfen sei eine Einigung leicht möglich und die Forderung nach einer Ausnahme der Schweiz lasse sich erfüllen.

Beim Lohnschutz sieht die Kommission weiterhin keine Verhandlungsmöglichkeit und verweist auf den 2018 ausgehandelten Entwurf des Abkommen. Die EU könne nicht von ihren eigenen Richtlinien abweichen, heisst es im Protokoll.

Mit ihren Forderungen zur Unionsbürgerrichtlinie trifft die Schweiz ins Herz der Personenfreizügigkeit, wie das Protokoll weiter festhält. Die Kommission sehe hier aber Lösungen und bleibe konstruktiv.

Ein Engagement der Schweiz fehlt ihr indessen. Ohne weitergehende Engagements seien die Chancen auf eine Einigung nahe Null. "Einen Plan B gibt es derzeit nicht", bilanziert die EU-Kommission in dem Protokoll.

Kein Kommentar

Der Bundesrat wollte das EU-Protokoll nicht kommentieren, wie sein Sprecher André Simonazzi auf Anfrage von Keystone-SDA mitteilte. Am 23. April soll eine Bundesratsdelegation zu Gesprächen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Brüssel reisen. Genaueres war am Freitag nicht bekannt.

Die Plattform-Schweiz-Europa von fünf europafreundlicheren Organisationen wie etwa der Neuen europäischen Bewegung Schweiz (Nebs), Progresuisse oder Operation Libero sieht die Schweiz am Scheideweg. Der Bundesrat soll das Rahmenabkommen nun auch ohne Konzessionen seitens der EU unterzeichnen, forderte sie in einem Communiqué. Dann könne das Parlament die Vorlage beraten und dem Souverän zur Abstimmung vorlegen.

(AWP)