Erst am Mittwoch hatte die Kommission ein Verfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil zur Europäischen Zentralbank 2020 über einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs hinweggesetzt hatte. Der von Reynders beschriebene Sachverhalt in Polen liegt ähnlich.

Premierminister Mateusz Morawiecki habe das Verfassungsgericht gebeten, ein Urteil des EuGH vom 2. März 2021 zu überprüfen. Darin hatten die obersten EU-Richter festgestellt, dass EU-Recht Mitgliedsstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht ausser acht zu lassen, selbst wenn es sich um Verfassungsrecht handelt.

Die Vorlage Morawieckis an das polnische Verfassungsgericht "scheint fundamentale Prinzipien des EU-Rechts in Frage zu stellen, insbesondere das Prinzip, dass EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat und dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs für alle nationalen Gerichte und andere staatliche Stellen in Mitgliedsstaaten bindend sind", schrieb Reynders. Die Vorlage verstosse auch gegen das Prinzip der treuen Zusammenarbeit in der EU.

Reynders fordert eine Antwort Szymanskis binnen eines Monats. Man behalte sich vor, nötigenfalls die in den EU-Verträgen vorgesehenen Schritte einzuleiten, heisst es weiter.

Die EU-Kommission liegt seit Jahren mit der national-konservativen Regierung in Polen im Streit wegen des dort eingeleiteten Umbaus der Justiz. Unter anderem hat die Brüsseler Behörde Zweifel an der Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichts. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte zuletzt entschieden, bei der Ernennung von Richtern an diesem Gericht habe es offensichtliche Verstösse gegen innerstaatliches Recht gegeben./vsr/DP/mis

(AWP)