Die Juristen der Kommission schauten sich das Urteil derzeit sehr genau an, "bevor wir über mögliche Schritte entscheiden", sagte die für Rechtsstaatlichkeit verantwortliche Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourova der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" laut Vorab-Bericht. Das letzte Wort zu europäischem Recht werde immer vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gesprochen. "nirgendwo sonst", so Jourova.

Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold twitterte, die Kommission prüfe ein Vertragsverletzungsverfahren. Dies habe ihm EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mitgeteilt. Giegold postete über seinen Account ein entsprechendes Schreiben. Darin heisst es, die Kommission sei derzeit dabei, das Karlsruher Urteil im Detail zu analysieren. "Auf Basis dieser Erkenntnisse prüfen wir mögliche nächste Schritte bis hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren."

 

 

Giegold hatte zuvor in einem Schreiben an von der Leyen ein solches Verfahren gefordert. Die europäische Rechtsgemeinschaft sei "bedroht durch die jüngste Eskalation eines seit vielen Jahren schwelenden Streits zwischen dem deutschen Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof". Die Entscheidung wirke wie eine Einladung auch an andere nationale Höchstgerichte, die letztinstanzliche Auslegung von Europarecht durch den Europäischen Gerichtshof zu umgehen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag die billionschweren Aufkäufe von Staatsanleihen der Euro-Länder durch die Europäischen Zentralbank (EZB) als teilweise verfassungswidrig eingestuft. Damit stellte es sich gegen den EuGH, der Ende 2018 zu dem Ergebnis kam, dass die Käufe nicht gegen EU-Recht verstossen. Am Freitag unterstrich der EuGH, nur er allein sei befugt "festzustellen, dass eine Handlung eines Unionsorgans gegen Unionsrecht verstösst", um die einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu wahren.

Weber kritisiert Urteil

Unverständnis über das Urteil aus Deutschland äusserte auch der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, der CSU-Politiker Manfred Weber. Die Karlsruher Richter hätten "zwei Dinge in Frage gestellt, die für Deutschland immer zentral waren: das Primat europäischen Rechts und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank", sagte er der "FAS".

Auch die Unabhängigkeit der Bundesbank stehe in Frage, wenn sie künftig Bundestag und Bundesregierung vor ihren Entscheidungen konsultieren müsse. Die Karlsruher Entscheidung dürfe nicht dazu führen, dass Polen und Ungarn sich nicht mehr an Entscheidungen des EuGH gebunden fühlten.

Gemäss den EU-Verträgen kann die Kommission rechtliche Schritte in Form von Vertragsverletzungsverfahren einleiten, die EU-Recht nicht umsetzen. Am Ende können Strafgelder stehen. 

(Reuters)