In Erwartung von Zinserhöhungen der grossen Notenbanken warfen Anleger in den vergangenen Monaten verstärkt Staatsanleihen aus ihren Depots und trieben damit die Renditen in die Höhe. Am Mittwoch lag die Durchschnittsrendite bei einer Auktion zehnjähriger Bundestitel erstmals seit fast drei Jahren wieder über null Prozent. Die an der Börse gehandelten Papiere hatten diese Schwelle Ende Januar bereits übersprungen.

Eigentlich sind Bundesanleihen an den Börsen begehrt, denn sie geniessen den Ruf einer sicheren Anlage. Vor allem in Krisenzeiten reissen sich Investoren darum, dem deutschen Staat Geld leihen zu dürfen. Dank der Wirtschaftskraft des Landes gehen sie fest davon aus, dass der Bund seine Schulden auch zurückzahlen kann. In den vergangenen Jahren nahmen sie sogar in Kauf, für Kredite an Deutschland zu bezahlen, da sie in anderen Anlageklassen grössere Verluste befürchteten.

Nachfolgend die Entwicklung der Rendite der richtungweisenden zehnjährigen Bundesanleihe der vergangenen Jahrzehnte:

Wirtschaftswunderzeit

In den 1950er bis Mitte der 1960er Jahre geht die Rendite von knapp acht auf etwa sechs Prozent zurück. Ab 1965 steigen sie parallel zu Zinserhöhungen der Bundesbank wieder bis auf etwa acht Prozent. Arbeitskräftemangel und kräftige Lohnsteigerungen schüren Inflationsängste. Zwischen 1966 und 1969 gehen die Renditen wieder zurück, um anschliessend erneut zu steigen. Auch diesmal sind eine heisslaufende Konjunktur und steigende Löhne die Treiber, die die Bundesbank zu drastischen Zinserhöhungen nötigen.

Öl-Krisen und Erster Irak-Krieg

Der Beginn der 1970er Jahre wird geprägt durch "Stagflation" - wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitig anziehender Inflation. Ein Lieferstopp der Opec-Staaten verteuert Rohöl und löst eine Energiekrise aus. Zugleich schwächt die Schuldenpolitik der USA zur Finanzierung des Vietnam-Krieges den Dollar. Durch die daraus folgende Aufwertung der D-Mark werden deutsche Waren auf dem Weltmarkt unattraktiver. Die Bundesbank steuert der anziehenden Teuerung erneut mit Zinserhöhungen entgegen und treibt die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe 1974 auf fast elf Prozent.

In den Jahren danach entspannt sich die Lage wieder und die Titel rentieren 1978 nur noch bei etwa fünf Prozent. Danach steigen die Zinsen wieder und mit ihr die Renditen. Auslöser hierfür ist vor allem ein erneuter Ölpreis-Anstieg als Reaktion auf den Sturz des Schahs im Iran und dem bald darauf folgenden ersten Irak-Krieg. Im Juli 1981 erreicht die Rendite der zehnjährigen Bundestitel mit 11,430 Prozent ihr Rekordhoch.

Deutsche Einheit und Wirtschaftskrisen des 21. Jahrhunderts

In den darauffolgenden Jahren fällt die Rendite wieder auf gut fünf Prozent zurück, um dann in der Wendezeit bis kurz vor der Vereinigung zwischen Bundesrepublik und DDR auf mehr als acht Prozent anzusteigen. Der Diskontsatz der Bundesbank erreicht im Sommer 1992 sein Rekordhoch mit 8,75 Prozent.

Ab diesem Zeitpunkt geht es mit den Leitzinsen und den Bond-Renditen bergab. Gleiches gilt für die Inflation, die seit 1995 fast durchgängig unter der aktuellen Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp zwei Prozent bleibt.

Die Jahrtausendwende geht nicht nur mit der Einführung des Euro einher, sondern bildet den Auftakt für eine Serie von Krisen, zu deren Bekämpfung die neu gebildete EZB die geldpolitischen Zügel immer weiter lockert. Den Anfang macht das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000. 2007/2008 folgt die Finanzkrise und kurz darauf die europäische Schuldenkrise. Da der Leitzins zu diesem Zeitpunkt bereits bei fast Null Prozent liegt, kauft die EZB zusätzlich monatlich europäische Staatsanleihen für mehrere Milliarden Euro auf.

Brexit und Corona

Zu den wirtschaftlichen Krisen gesellt sich 2016 eine politische: Die Briten stimmen überraschend für den Ausstieg ihres Landes aus der Europäischen Union. Diese Entscheidung löst ein weltweites Börsenbeben und eine Flucht in den "sicheren Hafen" Bundesanleihen aus. Am 24. Juni, dem Tag nach dem Referendum, fällt die Rendite der zehnjährigen Papiere erstmals unter null Prozent. In den Monaten darauf arbeitetet sie sich zwar wieder ins Plus vor, kommt über einen Wert von 0,808 Prozent aber nicht hinaus.

Das Hickhack um die Trennungsmodalitäten und die künftigen Beziehungen zwischen Grossbritannien und der EU drängen die Rendite im Frühjahr 2019 erneut in negatives Terrain. Von dieser Entwicklung bleiben auch länger laufende Bundesanleihen nicht verschont. Im September 2019 rentieren auch die 30-jährigen Papiere erstmals im Minus. Damit sind sämtliche beim Bund ausgegebene Schuldscheine ein Zuschuss-Geschäft.

Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie und der dadurch ausgelöste weltweite Stillstand verstärkt den Run auf Bundesanleihen ein weiteres Mal. Gleichzeitig legen EZB und andere Notenbanken im Eiltempo billionenschwere Wertpapier-Ankaufprogramme auf, um die Konjunktur anzukurbeln. Die Renditen der zehn- und 30-jährigen Titel erreichen im März 2020 mit minus 0,909 beziehungsweise minus 0,610 Prozent ihre Rekordtiefs.

Unter anderem dank der Corona-Massenimpfungen erholt sich die Wirtschaft jedoch rasch. Weil zudem die Pandemie-Beschränkungen zu Liefer-Engpässen führen, steigen die Preise für zahlreiche Waren. Um die zunächst als vorübergehend betrachtete Inflation in den Griff zu bekommen, ziehen die grossen Notenbanken die geldpolitischen Zügel wieder an. Dies treibt die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe im Januar 2022 wieder über null Prozent. Mitte Februar muss der Bund erstmals seit fast drei Jahren für neu emittierte Papiere wieder Zinsen zahlen.

(Reuters)