cash: UBS-CEO Sergio Ermotti kritisierte Ende Oktober öffentlich die Schweizerische Nationalbank (SNB). Er wundere sich, wenn im Stabilitätsbericht der SNB das Wachstum der Grossbanken als Risiko thematisiert werde. Negativzinsen und die Grösse der Bilanz der SNB seien die viel grösseren Risiken, behauptete Ermotti. Ist es richtig von ihm, den Regulator zu kritisieren?

Jean-Charles Rochet: Es ist Teil eines politischen Spiels, solche Aussagen in den Medien zu machen. Banken erhoffen sich dadurch mehr Freiheiten und bessere ökonomische Bedingungen. Auf der anderen Seite will die SNB natürlich mehr Stabilität und strengere Regeln.

Funktioniert dieses Spiel denn auch tatsächlich, können die Banken die Regulierung so beeinflussen?

Natürlich. Aber das geht überwiegend in anderen Ländern, weniger in der Schweiz. Hierzulande hat die SNB eine grosse Macht und ist durch die Grossbanken weniger beeinflussbar. In den USA etwa ist das ganz anders.

Wie sieht die Situation in den USA im Vergleich zur Schweiz aus?

Die US-Notenbank Fed handelt eindeutig im Interesse der Banken, während die SNB balancierter ist. Die SNB gewährt den Banken keinen totalen Freiraum, berücksichtigt aber trotzdem die Interessen der Finanzindustrie. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig, damit der Finanzplatz Schweiz weiterhin als stabil betrachtet wird und Investoren in die Schweiz kommen.

Grossbanken leiden seit der letzten Finanzkrise unter ihrem schlechten Image. Jetzt kritisiert die UBS die Nationalbank. Haben die Grossbanken aus der letzten Finanzkrise nichts gelernt?

Um eine objektivere Sicht auf die Sache zu bekommen, hilft ein Blick auf die Daten. Die Credit Suisse und die UBS konnten ihre Kapitalsituation über die letzten Jahre eindeutig verbessern. Beide weisen nun ein risiko-gewichtetes Kapitalverhältnis von ungefähr 17 Prozent und eine 'leverage ratio' von über 5 Prozent auf. Das zeigt, dass sie stabil sind.

Würden Sie Investoren zum jetzigen Zeitpunkt empfehlen, Aktien von CS und UBS zu kaufen?

Neben der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma prüft auch die US-Fed in ihren Stresstests jeweils die UBS und die Credit Suisse auf Herz und Nieren. Die Finma macht zwar ihre Resultate nicht publik, in den USA werden die beiden Schweizer Grossbanken aber als sicher eingestuft. Daher denke ich, dass es gute Investments sind.

Die Schweizer Grossbanken erreichen längst nicht mehr dass Gewinniveau der Vorkrisenzeit, was man auch am tiefen Aktienkurs der letzten Jahre erkennen kann. Braucht es weniger Regulierung, damit diese wieder prosperieren können?

Ich glaube nicht, dass die Regulierung das Problem ist. Es sind vielmehr die politischen Risiken. Banken leiden üblicherweise stärker unter politischen Unsicherheiten als andere Firmen. Wir wissen nicht, was mit dem Euro passiert, was Trump in den USA vor hat oder wie es mit China weiter geht.

Sehen Sie eine Chance, dass diese Risiken bald überwunden werden können?

Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken: Früher wurde die sogenannte 'Freie Welt' von den USA angeführt, was für Stabilität sorgte. Heute leben wir in einer Welt mit zahlreichen grossen Playern, neben den USA sind das etwa China, die EU, Grossbritannien oder Japan. Die Bereitschaft einer Zusammenarbeit ist teilweise verschwunden. Jeder kämpft für mehr eigene Macht.

Und wie wirkt sich das auf die Regulierung der Finanzindustrie aus?

Die globale Erderwärmung kann nicht gestoppt werden, da jedes Land primär nur für sich selbst schaut. In der Finanzindustrie ist es im Prinzip das Gleiche: Nicht die Regulierung selbst ist das Problem, sondern deren Umsetzung. Der Basler Ausschuss und auch das Financial Stability Board tun ihr Bestes, um die Regeln zu harmonisieren und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

Die US-Notenbank will die Kapitalanforderungen für Banken, die als Folge der Finanzkrise 2007/08 verschärft wurden, wieder etwas lockern. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Das kreiert Risiken. Die letzte grosse Krise ging von den USA aus und verbreitete sich dann auf die ganze Welt. Ich befürchte, dass dies wieder geschehen kann. Deshalb müssen wir uns gegen diese Risiken schützen.

Wie kann das getan werden?

Die Schweiz muss schauen, dass ihr Finanzsystem so sicher wie möglich ist, unabhängig davon, was andere Staaten tun. Das ist nicht leicht. Aber die Regulatoren, allen voran die SNB, machen bis jetzt einen sehr guten Job.

Es sind inzwischen 10 Jahre seit der letzten grossen Finanzkrise. Wann kommt die nächste?

Mit Blick auf die Vergangenheit kann man sagen, dass globale Finanzkrisen sehr selten vorkommen. Vielleicht alle 80 Jahre einmal. Aber lokale Krisen sind natürlich möglich. Für die Schweiz ist es wichtig, sich gegen den möglichen Schaden abzusichern. Vergleicht man aber die Situation in der Schweiz mit anderen Ländern, sollten wir uns wirklich keine Sorgen machen.

Jean-Charles Rochet ist Finanzprofessor an der Universität Genf und am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich. Er beschäftigt sich in seiner Lehre stark mit den Gründen und den Folgen von Finanzkrisen. Im Jahr 2008 publizierte er das Buch "Why Are There so Many Banking Crises?"

Das Interview mit Jean-Charles Rochet fand am Rande des "SFI Annual Meeting" in Zürich statt, an dem cash.ch Medienpartner war.