Die Aktionäre des Zahlungsabwicklers Wirecard befinden sich in einer misslichen Lage. Einerseits ist der Aktienkurs nach der Bekanntgabe der Insolvenz ins Nimmerland abgestürzt. Seit Jahresbeginn haben die Aktien 98 Prozent ihres Werts verloren und notieren momentan bei 2,68 Euro. Wirecard ist damit beinahe ein Pennystock.

Die Kursentwicklung der Wirecard-Aktien seit fünf Jahren (Quelle: Bloomberg)

Andererseits stellt sich grundsätzlich die Frage, ob nach der Abwicklung der Insolvenz überhaupt etwas für die Aktionäre übrigbleibt. Oder ist sogar die momentane Marktkapitalisierung von knapp 400 Millionen Euro reines Wunschdenken?

Die Juristenzunft wittert auf jeden Fall nun das grosse Geschäft: Anwälte versprechen Anlegern eine Chance auf Schadenersatz. Dabei geht es hauptsächlich darum, dass Wirecard mehrfach gegen die sogenannte Ad-hoc-Pflicht verstossen habe, daher börsenrelevante News nicht veröffentlichte.

Doch können sich Aktionäre eine Chance auf Schadensersatz ausrechnen? Ziemlich sicher nein. Einzige Gewinner sind wohl die Anwälte mit ihren Honoraren.

Denn wird Wirecard tatsächlich abgewickelt, müssen sich die Aktionäre in die Reihe der Gläubiger stellen. In dieser Reihe stehen sie dann erst einmal ziemlich weit hinten. Vor den Aktionären kommen beispielsweise noch sämtliche Gläubiger-Banken zum Zug. Aber auch Inhaber von Obligationen werden vor den Aktionären ausbezahlt.

«Das Geld ist weg»

Wirecard-Aktionäre sollten daher besser nicht darauf wetten, dass sie beim Ausverkauf etwas aus der Insolvenzmasse bekommen. Investoren wollen meist nur die "Filetstücke" des Konzerns. Zudem werden diese in einem Verfahren mehrheitlich mit Abschlag veräussert. Aus diesen Einnahmen werden dann, wie erwähnt, zuerst die Ansprüche der Gläubiger bedient. 

Und auch diese bereiten sich schon auf den schlimmsten Fall vor. "Das Geld ist weg", sagt ein Vertreter der Gläubiger-Banken gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die nicht näher genannte Bank rechnet in einigen Jahren vielleicht mit ein paar Euro und schreibt den Kredit jetzt ab.

Auch nicht ein Aufsteller für die Aktionäre ist die Tatsache, dass in typischen Insolvenzverfahren weniger als zehn Prozent der Ansprüche befriedigt werden. Was dies für die Aktionäre bedeutet, sollte letztendlich ab hier klar sein. 

Swissair und Petroplus lassen grüssen

Sogar die Inhaber von Wirecard-Anleihen rechnen nicht mehr mit einer grossen Rückzahlung. Der momentane Anleihe-Kurs (Wirecard 0,5 Prozent Coupon mit Laufzeit 11. September 2024) widerspiegelt die grossen Zweifel: Die Anleihe wird momentan noch bei 16 Prozent ihres Nennwerts gehandelt.

Wertentwicklung der Wirecard-Anleihe (ISIN: DE000A2YNQ58) seit der Herausgabe im September 2019 (Quelle: cash.ch).

In der Schweiz haben Aktionäre in den letzten 20 Jahren schon die Erfahrung gemacht, aus einem Insolvenzverfahren leer auszugehen. 63'000 Aktionäre verloren beim Swissair-Grounding ihren Einsatz an der Börse. Und auch beim an der Schweizer Börse kotierten Raffineriebetreiber Petroplus gingen die Aktionäre leer aus. Die Nachlassdividende kam allein den Gläubigern zugute.

Aus diesen Gründen versuchen Anwälte von Aktionären vorsichtshalber auch noch mehr "Gegner" ins Visier zu nehmen: Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, zwei weitere Verantwortliche und den langjährigen Wirtschaftsprüfer von Wirecard EY. Der Vorwurf: EY habe "schuldhaft" die 2018er-Bilanz testiert. 

Erfolg auf dem Rechtsweg ungewiss und langwierig

Die Anklage gegen Braun ist am vielversprechendsten. Doch was ist beim ehemaligen Chef überhaupt noch zu holen? Er war zwar zuletzt mit rund 7 Prozent der grösste Aktienbesitzer von Wirecard, doch sind diese Wertpapiere inzwischen weitgehend "wertlos". Und ein weiterer Hauptverantwortlicher, der ehemalige Vorstand Jan Marsalek, ist untergetaucht.

Der Wirtschaftsprüfer EY hingegen gibt den Schwarzen Peter kurzerhand an Wirecard weiter: "Es gibt deutliche Hinweise, dass es sich um einen umfassenden Betrug handelt, an dem mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt waren."

Aktionäre sind schlussendlich auch nicht die einzigen Anspruchsberechtigten bei diesen Rechtsklagen: Sondern auch alle Anleger, die die im Jahr 2019 emittierte Anleihe von Wirecard gezeichnet haben, sowie Inhaber von Derivaten.

Doch ein Hauptproblem bleibt: Vergleichbare Prozesse in der Vergangenheit fehlen. Der Wirecard-Skandal ist in seiner Dimension einzigartig. Die Erfolgaussichten auf dem Rechtsweg stehen in den Sternen. Zudem dürfte der Gesamtprozess gut fünf Jahre lang dauern.

Die Zeit drängt

Zudem drängt die Zeit: Zuletzt musste Wirecard für fünf Tochtergesellschaften ebenfalls Insolvenz anmelden - und es wurde bekannt, dass der japanische Technologiekonzern Softbank seine Partnerschaft kündigen will. 

Wirecard verliert zunehmend Kunden: Aldi Süd und Orange Bank wechseln den Anbieter. Und auch die Kreditkartenfirmen Visa und Mastercard haben Wirecard-Kunden informiert, dass Wirecards Zugang zu ihren Netzwerken entzogen werden könnte. Dies vermindert den verbleibenden Unternehmenswert von Wirecard zusätzlich

Eine kleine Hoffnung für Wirecard-Aktionäre ist sicherlich, dass das Unternehmen im Insolvenzverfahren saniert wird und sich der Aktienkurs über die nächsten Jahre "erholt". Doch "Hoffnung" ist meist kein guter Ratschlag an den Finanzmärkten. Denn auch eine Sanierung ist, wie der Fall der insolventen Modekette Gerry Weber zeigt, riskant. Zum Einstieg der neuen Investoren gab es eine "Kapitalherabsetzung auf Null". Die Altaktionäre wurden damit ohne Entschädigung aus dem Unternehmen gedrängt.

Vielmehr scheint man momentan besser bedient zu sein, das Wirecard-Investment abzuschreiben und die verbleibenden Euro, solange die Aktien noch handelbar sind, einzustreichen. Dies wäre eine schmerzhafte, aber schlussendlich rationale Entscheidung.
 

ManuelBoeck
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