Das angeblich lukrative Geschäft mit Drittpartnern in Asien habe es "nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht gegeben", heißt es in einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Sachstandsbericht Jaffes an das Amtsgericht München. Darauf deuteten viele Indizien hin - etwa, dass sich keiner der angeblichen Partner oder Händler nach der Pleite bei dem deutschen Zahlungsabwickler gemeldet habe. Vielmehr habe Wirecard mit den Scheingeschäften reale Verluste verschleiert - insgesamt 1,1 Milliarden Euro in den fünf Jahren von 2015 bis kurz vor dem Zusammenbruch 2020.

Allein im Geschäftsjahr 2019 sei damit aus einem Verlust von 375 Millionen Euro vor Steuern ein Gewinn von 573 Millionen Euro geworden, rechnet Jaffe in dem Bericht vor. Die Kontoauszüge und Bankbestätigungen, mit denen Wirecard die Existenz der angeblich milliardenschweren Treuhandkonten bei Banken auf den Philippinen gegenüber der Wirtschaftsprüfungsfirma EY beglaubigt hatte, "wurden nachweislich zu Täuschungszwecken angefertigt und enthalten zahlreiche Hinweise auf Unstimmigkeiten", schreibt der Insolvenzverwalter.

"Bei Wirecard war zu keinem Zeitpunkt eine organisatorische Struktur vorhanden, die die angeblichen Aufgaben im TPA-Geschäft (Third Party Acquiring) hätte erfüllen können", heißt es in dem Bericht weiter. Jaffe hegt den Verdacht, dass Wirecard vielmehr mit Kreislaufzahlungen Umsätze fingierte, "vornehmlich wohl mit dem Ziel, reale und ertragreiche Geschäftsbeziehungen vorzutäuschen". Dazu sei Geld von einer Tochter zu anderen oder an Dritte überwiesen worden - oft kurz vor dem Quartalsende -, das später wieder zurückfloss. Für etwa ein Drittel der realen Zahlungen in den Büchern sei klar, dass sie aus Mitteln von Wirecard selbst stammten. "Es wurden mehrere klare 'Kreisläufe' identifiziert", bei anderen könne man das nur vermuten.

Verdächtige Mittelabflüsse

Auf etwa eine halbe Milliarde Euro beziffert Jaffe daneben "verdächtige Mittelabflüsse", entweder in Form überhöhter Kaufpreise für Übernahmen oder durch Zahlungen an Firmen wie OCAP in Singapur, die mit dem ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek in Verbindung gebracht wird. OCAP, die 230 Millionen Euro von Wirecard erhalten hatte, hat Ende 2020 in Singapur Insolvenz angemeldet. Marsalek ist auf der Flucht.

Jaffe will daher die letzten beiden testierten Bilanzen der Jahre 2017 und 2018 für nichtig erklären lassen. Firmenwerte und Treuhand-Guthaben seien dort um 743,6 Millionen (2017) und 972,6 Millionen (2018) Euro zu hoch ausgewiesen worden. Damit könnte der Insolvenzverwalter auch 47 Millionen Euro an Dividenden zurückfordern, die Wirecard in diesen beiden Jahren an seine Aktionäre ausgeschüttet hat. Zumindest bei den Kleinaktionären könnte sich das aber als schwierig erweisen, räumt Jaffe in dem Bericht ein.. Er muss er im Interesse der Gläubiger unrechtmäßige Zahlungen vor der Insolvenz anfechten.

Insgesamt summieren sich die Insolvenzforderungen laut dem Bericht auf fast 14,3 Milliarden Euro. Fast 12.000 davon stammen von Aktionären, die aber kaum Chancen haben dürften, einen Teil ihrer Verluste erstattet zu bekommen. Die Forderungen von rund 29.000 weiteren Aktionären seien noch gar nicht erfasst. 

(Reuters)