Matthias Geissbühler, Anlagechef der Raiffeisen Gruppe:

Die Fed geht nun "all-in". Wichtiger als der Zinsentscheid ist aber die Ankündigung massiver Anleihekäufen sowie der Bereitstellung von (unlimitierter) Liquidität für die Geschäftsbanken. Zudem wurde heute ein koordiniertes Vorgehen von verschiedenen Notenbanken bekanntgegeben. Fed, Bank of Japan, Bank of England, Bank of Canada, EZB und SNB stellen die Versorgung mit US-Dollar sichern.

Diese Massnahmen helfen das Bankensystem zu sichern und zu stabilisieren und sind insofern begrüssenswert. Was den kurzfristigen Konjunkturverlauf anbelangt, nützt das aber wenig. Dafür braucht es ein Abflachen der Ansteckungsraten beim Coronavirus und dies dürfte trotz drastischer Massnahmen noch einige Wochen oder Monate dauern.

Die Auswirkungen bei einem "Shut-down" sind nun am Beispiel von China ersichtlich. Die Industrieproduktion ist zwischen Januar und Februar um 13.5 Prozent eingebrochen und die Konsumausgaben um über 20 Prozent. In Europa und der Schweiz dürfte dies in den kommenden Wochen sehr ähnlich aussehen. Deshalb haben wir auch die Wachstumsprognosen deutlich reduziert. Für die Schweiz sehen wir ein BIP-Wachstum 2020 von -0.2 Prozent (zu Jahresbeginn: +1.3 Prozent).

Anastassios Frangulidis, Chefstratege bei Pictet Asset Management:

Das Federal Reserve reagiert wie bei früheren Abschwung- beziehungsweise Rezessionszyklen. Die Leitzinszyklen werden schnell gesenkt beziehungsweise die quantitative Lockerung (QE) beschleunigt. Im Schnitt hat die Fed bei früheren Zyklen die nominellen Leitzinsen um 6.2 Prozent (real um 5.2 Prozent) gesenkt. Jetzt sind sie unter Berücksichtigung von QE ungefähr bei der Hälfte des Anpassungsprozesses. Angesichts der Ereignisse rund um das Coronavirus und der Reaktionen an den Kreditmärkten ist die Reaktion von Fed verständlich. Eine weitere QE-Ausweitung sowie eine Reaktion der Geld- und Fiskalpolitik weltweit ist in nächster Zeit zu erwarten.

Thomas Stucki, Anlagechef St. Galler Kantonalbank:

Die Fed hat in einer ersten ausserordentlichen Aktion ihren Leitzins um 0.50 Prozent gesenkt. Das gleiche hat die Bank of England gemacht. Die EZB will ihr Anleihenkaufprogramm aufstocken und den Banken noch mehr billiges Geld für Kredite zur Verfügung stellen. Die Bank of Japan kauft über ETF direkt Aktien. Auf all diese Massnahmen haben die Finanzmärkte nur kurz, wenn überhaupt, positiv reagiert. Die Retter in der Not der letzten Jahre scheinen ihren Heldenstatus für die verängstigten Finanzmärkte verloren zu haben. Vielmehr steht die Frage im Raum, ob die Zentralbanken überhaupt noch in der Lage sind, die angeschlagene Konjunktur zu stärken.

Santosh Brivio, Senior Economist bei der Migros Bank:

Die drastische Zinssenkung zeigt die Bereitschaft der Fed, bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie bis zum Äussersten zu gehen. Der Notentscheid erfolgte nur drei Tage vor der nächsten regulären Sitzung des Offenmarktausschusses. Es handelt sich um die grösste Notfallzinssenkung der Fed seit 1984. Dies illustriert die Alarmstimmung, in der sich die US-Notenbank befindet, und den Stress an den Finanzmärkten. Nachdem die Zinssenkung von 4. März wirkungslos verpuffte, scheint auch dieser drastische Zinsschritt an den Aktienmärkten zu keiner Beruhigung zu führen.

Angesichts der besorgniserregenden Verlangsamung des Wirtschaftsgeschehens hoffen die Märkte weniger auf weitere Zinssenkungen als vielmehr auf handfeste und umfangreiche fiskalpolitische Massnahmen, welche die entstehenden Schäden in der Realwirtschaft zumindest abmildern können.

Die US-Geldpolitik ist nun wieder ultraexpansiv. Im zunehmend verzweifelt wirkenden Kampf gegen die Coronavirus-Schäden scheint zudem auch in den USA eine Absenkung des Zinsniveaus in den negativen Bereich nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Fallen auch die amerikanischen Kapitalmarktzinsen unter die Marke von 0 Prozent, hätte das globale Finanzsystem seine wichtigste und letzte Verankerung verloren, was an den Bondmärkten wohl zu einem markanten und weltweiten Zinsrutsch führen würde.

Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe:

Ökonomisch ist der Schritt richtig. Jetzt bedarf es der vollen Unterstützung der Fed. Allerdings trägt die US-Notenbank mit ihren Massnahmen nicht zur Beruhigung bei. Nur wenige Tage vor der regulären Zinsentscheidung solch einen deutlichen Schritt zu vollziehen, lässt auf Stress schliessen.