Die SNB beläasst den Negativzins unverändert bei minus 0,75 Prozent, entlastet allerdings die Banken etwas von den Strafzinsen auf Sichtguthaben bei der Notenbank: Ab 1. November 2019 sind weniger Einlagen betroffen. 

ANASTASSIOS FRANGULIDIS, PICTET ASSET MANAGEMENT:

Die ersten Marktreaktionen nach dem Entscheid der SNB den - unter den Markterwartungen liegenden - EZB-Schritt nicht zu folgen, zeigen dass die unmittelbaren Folgen dieser Entscheidung - Wechselkurs-, Zins- und Aktienmarktentwicklung - tragbar sind. Es sieht danach aus, als ob die SNB den Nutzen und die Kosten der Negativzinspolitik stärker als zuvor vergleicht und dabei bereit wäre, sich zunehmend von der Geldpolitik anderer Notenbanken zu emanzipieren.

Dies bedeutet auch, dass die SNB eine kontrollierte Aufwertung des Schweizer Frankens nicht mehr strikt ablehnt. Die Erhöhung der Freibeträge bezüglich der Negativzinsen entspricht der Realität der längeren Bilanzen ist deshalb klar nachvollziehbar.

KARSTEN JUNIUS, BANK J. SAFRA SARASIN:

Die SNB bereitet sich auf lange Niedrigzinsphase vor und hält ihr Pulver trocken, senkt den Leitzins nicht wie von uns eigentlich erwartet. Allerdings erhöht sie wie von uns erwartet die Freibeträge mittels einer dynamischen Formel, was positiv für Banken sein sollte.

Insgesamt signalisiert sie, dass sie mit ihren aktuellen Instrumenten und dem Niveau des Franken zufrieden zu sein scheint. Vielleicht möchte sie mit einer Zinssenkung zu einem unerwarteten Zeitpunkt aber auch einen grösseren Überraschungseffekt erzielen. Bei gegebenen Zinsdifferenzen rechnen wir eher mit einem stärkeren Franken.

MATTHEW PENNILL, MORGAN STANLEY: 

Die fundamentalen Herausforderungen für die SNB bleiben wahrlich bestehen. Die Inflation ist sehr tief, und die Lockerungspolitik der EZB und die Suche nach sicheren Häfen bedeuten, dass der Franken aufgewertet hat. Eine leichte Deflation dürfte nächstes Jahr zurückkehren. Vor diesem Hintergrund wird die SNB höchstwahrscheinlich bald dem Aufwertungsdruck wieder entgegentreten müssen. 

Wir glauben weiterhin, dass eine Zinssenkung die effektivste massnahme der Zentralbank ist, dies zu erreichen. Weil die EZB möglichweise im nächsten März einen weiteren Zinsschritt unternehmen wird, erwarten wir eine Zinssenkung von 25 Basispunkten von der SNB im selben Monat.

THOMAS GITZEL, VP BANK:

Es ist wohltuend zu sehen, dass sich die eidgenössischen Währungshüter nicht dem internationalen Reigen von Zinssenkungen anschloss. Auch die Entlastung aufseiten des Negativzinses ist zu begrüssen. Negativzinsen sollten ein Anreizsystem zur vermehrten Kreditvergabe sein.

Ist die Nachfrage nach Finanzierungen aufgrund eines eingetrübten Konjunkturausblicks auf Seite der Unternehmen aber schwach, verfehlen die Negativzinsen ihren Zweck. Damit entpuppt sich die Geldpolitik nicht als Anreizsystem, sondern nur noch als Belastungsfaktor. Finanzinstitute werden geschwächt und im schlimmsten Falle passiert das Gegenteil von dem, was sich die Nationalbank eigentlich wünscht, nämlich eine steigende Kreditvergabe.

Sollte sich an der gegenwärtigen Wechselkurssituation keine signifikante Änderung ergeben, wird die SNB weiterhin an ihrem eigenschlagen Pfad festhalten. Vorerst dürften keine weiteren Zinssenkungen auf der Agenda stehen.

JÖRG ANGELE, BANTLEON:

"Die SNB betont zwar weiterhin ihre expansive Ausrichtung, deutet aber - zumindest im offiziellen Statement - keine weitere Leitzinssenkung oder andere zusätzliche stimulierenden Maßnahmen an. Dies zeigt einmal mehr, dass die SNB nur noch wenige Pfeile im Köcher hat und vor allem auf die Maßnahmen anderer Notenbanken reagiert. Angepasst wird ab 1. November die Regelung zum Freibetrag, der vom Negativzins ausgenommen ist. Dieser war bisher fix und wird nun monatlich angepasst. Im Ergebnis steigt der Freibetrag, was die Banken entlastet.

Sollte die EZB es bei den jüngst angekündigten Lockerungsmaßnahmen belassen beziehungsweise maximal noch eine Minizinssenkung um 10 Basispunkte im vierten Quartal 2019 vornehmen, dürfte sich kein neuer Aufwertungsdruck auf den Franken aufbauen. Die SNB wäre damit nicht zu einer weiteren geldpolitischen Lockerung 'gezwungen'.

In Anbetracht der am 12. September von der EZB angekündigten Maßnahmen steht eine Zinsanhebung in der Eurozone frühestens im Jahr 2021 zur Debatte. Die SNB wird den Leitzins wohl nicht vor der EZB anheben, womit sich das Zeitfernster für eine Zinserhöhung frühestens im zweiten Halbjahr 2021 öffnen wird. Sollte die SNB mit ihrer pessimistischen Inflationseinschätzung recht behalten, tendenziell sogar später."

PHILIPP BURCKHARDT, LOMBARD ODIER IM:

"Wie erwartet hat die SNB in der aktuellen Zinslockerungsrunde ausgesetzt und bleibt, falls nötig, weiter am Devisenmarkt aktiv. Die Risiken sind in ihren Augen nun 'eher nach unten gerichtet' - also eine leichte Entschärfung der Formulierung. Dennoch hat die SNB die Wachstums- sowie die Inflationsprognose nach unten korrigiert. Außerdem passt sie die Berechnungsgrundlage für den Negativzins auf den Sichtguthaben an, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Tiefzinsumfeld 'noch länger anhalten könnte'. Diese kann auch als Reaktion auf den neulich expansiven EZB-Entscheid gesehen werden."

Gleichzeitig gibt die SNB einen Einblick in ihre Reaktionsfunktion, indem sie aufzeigt erst als letztes Mittel einen Zinsschritt zu wagen. Ihre Abwägung wird wahrscheinlich auch von der zunehmenden politischen Wahrnehmung im Inland geleitet.

Trotz hoher Hürde für einen weiteren negativen Zinsschritt, könnte sie immer noch falls nötig auch außerhalb des normalen Quartalszyklus davon Gebrauch machen, auch wenn mit abnehmendem Grenznutzen. Ein Schritt in die andere Richtung, nämlich nach oben, scheint nun in naher Zukunft, also den Jahren 2019 und 2020, eher unwahrscheinlich. Hier spielen auch internationale Themen eine zentrale Rolle, welche die Schweiz, als kleine offene Volkswirtschaft, mehr als nur tangieren.

Die SNB steht also weiter mit dem Rücken zur Wand und scheint ähnlich wie die EZB einen Großteil ihrer geldpolitischen Mittel ausgeschöpft zu haben. Unterdessen bleibt die SNB in der Liste der Zentralbanken eingereiht, welche mit ihrer stark expansiven Geldpolitik - ob aus gutem Grund oder nicht - einem immer größer werdenden Schuldenberg nicht gerade entgegengewirkt haben." 

(Reuters)