Die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung zwar keine neuen geldpolitischen Konjunkturhilfen. Sie stellten aber in Aussicht, nötigenfalls alle ihre Instrumente anzupassen. Die EZB hatte erst im März entschieden, das Tempo bei ihren umfangreichen Anleihenkäufen im Rahmen des Notfall-Programms PEPP deutlich zu erhöhen. Den Leitzins beliess die Notenbank auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent.

Ökonomen sagten dazu in ersten Reaktionen:

ULRIKE KASTENS, DWS GROUP:

Das Wichtigste der heutigen Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist schnell zusammengefasst: Sie nimmt keine Änderungen an ihren geldpolitischen Parametern vor und bestätigt damit die Markterwartungen. Nach wie vor nutzt sie die Flexibilität des Pandemic Emergency Purchase Programmes (PEPP), um für günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen. So wurden die wöchentlichen Nettoankäufe im Rahmen des PEPP in den Wochen seit der März-Sitzung erhöht und diese Politik will sie auch im laufenden Quartal weiter fortsetzen. Insofern bleibt alles wie gehabt.

Ob das höhere Ankaufvolumen auch im nächsten Quartal Bestand haben wird, dürfte dann im Juni entschieden werden, wenn mehr Klarheit über den Impffortschritt besteht und die neuen Projektionen für Wachstum und Inflation vorliegen. Sorgen über eine schnellere Rücknahme der Anleihekäufe halten wir für unbegründet. Dazu ist die Unterauslastung der Wirtschaft zu gross, zudem sehen wir den Inflationsanstieg nur temporär und nicht dauerhaft an, eine Meinung, die auch von der EZB geteilt werden dürfte. Im Gegensatz zu anderen Notenbanken wie der Bank of Canada, die eine Reduktion ihrer Anleihekäufe angekündigt hat, ist die EZB noch weit von einem echten Ausstieg aus der ultra-lockeren Geldpolitik entfernt.

OTMAR LANG, TARGOBANK:

Die Europäische Zentralbank hat es allen recht gemacht: Mit ihrer heutigen Aussage zum zukünftigen geldpolitischen Kurs hat EZB-Chefin Christine Lagarde einerseits Handlungsfähigkeit demonstriert. Andererseits blieben entscheidende Fragen – etwa nach der Höhe und vor allen Dingen der Dauer der Unterstützung – unbeantwortet. So hat sie sämtliche Lager im EZB-Rat auf Kurs gebracht - und doch alle wichtigen Entscheidungen vertagt.

Einen Rückgang der Nettoanleihekäufe erwarten wir erst für das vierte Quartal 2021. Und ein Auslaufen des PEPP-Programms nicht vor Jahresmitte 2022. Sollte das zu früh gewesen sein, kann die EZB immer noch andere Programme entsprechend aufstocken. Eine Zinsanhebung dürfte so oder so noch in weiter Ferne liegen. Wir rechnen damit frühestens in 2023. Denn auch das wurde heute wieder sehr deutlich: Die Mehrheit des EZB-Rates und insbesondere auch dessen Präsidentin stehen für einen geldpolitischen Ansatz, bei dem eher zu viel und auch zu lang Stimuli an die Wirtschaft gegeben wird.

FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT:

Der gestrige Urteilsspruch aus Karlsruhe mit dem grünen Licht für den EU-Corona-Plan hat den EZB-Rat kurzfristig entlastet. Die EZB bleibt nicht länger allein in ihrer Verantwortung, die reibungslose Finanzierung der hohen pandemiebedingten Staatsdefizite in der Eurozone abzusichern. Schon zur Jahresmitte wird die Europäische Kommission die ersten gemeinsamen EU-Anleihen emittieren und damit beginnen, Milliardenbeträge an die klammen Mitgliedstaaten zu überweisen. Aber auch für die glatte Finanzierung dieser EU-Verschuldung bleibt die EZB von grosser indirekter Bedeutung. Denn zweifellos werden die Zentralbanken des Eurosystems die wichtigsten Aufkäufer der neuen EU-Bonds sein. Die Hochschulden-Staaten der Eurozone bleiben also direkt und indirekt von den Ankäufen der EZB abhängig.

Es ist abzusehen, dass die Entscheidungsfindung im EZB-Rat in der zweiten Jahreshälfte wesentlich konfliktreicher werden wird als bisher. Mit der steigenden Euro-Inflationsrate und der weiteren wirtschaftlichen Erholung stellt sich immer drängender die Frage, wann der Ausstieg aus PEPP beginnt. PEPP hat die EZB noch viel näher in Richtung der verbotenen monetären Staatsfinanzierung gerückt und ist daher nur als Ausnahme in einer gravierenden Krisensituation zu verantworten. Die EZB muss langsam eine glaubwürdige Perspektive für den PEPP-Exit entwickeln.

ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT BANKHAUS LAMPE:

Die EZB hat ihren Kurs heute beibehalten. Da die Realzinsen weiter niedrig sind und sich die Corona-Lage zugespitzt hat, gab es für die EZB vor allem PEPP-seitig nichts zu tun. Günstige Finanzierungsbedingungen werden für die EZB wohl noch eine Weile wichtig bleiben. Bisher liegen diese in der Komfortzone der EZB. Sollten sie nach oben ausbrechen, wird sich die Notenbank mit dem PEPP dagegen stemmen. Derzeit sieht es nicht danach aus, dass die gegenwärtig etwas höheren PEPP-Käufe schon zu Beginn des dritten Quartals reduziert werden. Vielmehr dürfte die Schlagzahl bei den PEPP-Käufen auch im zweiten Halbjahr hoch bleiben. Da die Konjunktur der EZB weiter Streiche spielen dürfte, bleibt ein abruptes und ersatzloses PEPP-Ende im März 2022 illusorisch.

THOMAS GITZEL, CHEFÖKONOM VP BANK:

Christine Lagarde hat aktuell kein Zwang zum Handeln. Die dritte Corona-Welle hinterlässt erneut schwerwiegende wirtschaftliche Bremsspuren. Dies alleine reicht aus, um eine weiterhin ultra-expansive Geldpolitik zu rechtfertigen. Der gegenwärtige Inflationsanstieg ist temporärer Natur. Auch aus diesem Blickwinkel gibt es derzeit keinen Grund das Ruder auf einen anderen Kurs zu stellen. Allerdings wird der Währungsraum mit fortschreitender Impfungsquote Stück für Stück der Corona-Rezession entkommen und zu einem wirtschaftlichen Normalzustand zurückkehren. Dies wird schon bald der Fall sein.

Frau Lagarde muss also in den kommenden Monaten die Märkte darauf vorbereiten, dass ein Zeitpunkt kommen könnte, bei dem die EZB etwas restriktiver wird. Vor dem Hintergrund der immens gestiegenen Staatsverschuldung wird dies kein leichtes Unterfangen werden. Die Währungshüter sind ein zentraler Gläubiger der Staaten geworden. Die Zeit der grossen Herausforderung steht also noch bevor. Noch hat die EZB eine Schonfrist.

ULRICH WORTBERG, HELABA:

Die EZB hat an der expansiven Ausrichtung der Geldpolitik keine Veränderungen vorgenommen. Der Fokus liegt weiterhin darauf, für günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen. Die Entschlossenheit der EZB wird Präsidentin Lagarde wohl auf der um 14:30 Uhr beginnenden Pressekonferenz zum Ausdruck bringen. Sie wird bemüht sein, eine vorzeitige Tapering-Diskussion zu vermeiden. Interessanter wird es vermutlich bei der nächsten Ratssitzung im Juni sein. Dann könnten das Kaufvolumen innerhalb des flexibel nutzbaren Pandemie-Programms PEPP kritischer überprüft werden – in Abhängigkeit der Finanzierungsbedingungen, der Corona-Entwicklung und des Konjunktur- und Inflationsausblicks.

(Reuters)