Nachdem Lagarde zu Wochenbeginn ein Ende der Negativzinsen bis Ende des dritten Quartals in Aussicht gestellt hatte, legte sie am Dienstag bei Bloomberg TV nach: Der Einlagenzins könnte dann bei null oder auch "leicht darüber" liegen, erläuterte die Notenbank-Chefin. Damit könnte die Europäische Zentralbank (EZB) im Sommer auch einen grösseren Zinsschritt von einem halben Prozentpunkt in Erwägung ziehen. Der Kurs des Euro legte angesichts von Spekulationen auf eine aggressivere geldpolitische Gangart der EZB zu. Die Währung stieg zeitweilig auf ein Vier-Wochen-Hoch von 1,0735 Dollar.

Laut dem französischen Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau ist eine kräftige Zins-Erhöhung um einen halben Punkt derzeit jedoch nicht Konsens im Kreis der Währungshüter im EZB-Rat. Die Zentralbank in Frankfurt sollte seiner Ansicht nach im Laufe des nächsten Jahres ein neutrales Zinsniveau ansteuern, das die Wirtschaft im Euroraum weder anschiebt noch bremst.

Der Einlagensatz der EZB liegt derzeit bei minus 0,5 Prozent. Das bedeutet, dass Banken Gebühren zahlen müssen, wenn sie überschüssige Gelder bei der Zentralbank parken. Lagarde hatte in einem viel beachtete Blog am Montag dazu erklärt: "Wenn sich die Inflation mittelfristig bei zwei Prozent stabilisiert, wird eine schrittweise weitere Normalisierung der Zinssätze in Richtung des neutralen Zinssatzes angemessen sein". Sie öffnete sogar die Tür für eine weitere Anhebung der Zinssätze, "wenn die Wirtschaft des Euro-Raums überhitzt".

Lagarde: EZB verfällt nicht in Panik

Lagarde verteidigte die insbesondere in Deutschland als zu zögerlich kritisierte geldpolitische Linie der EZB nun bei ihrem Fernsehauftritt und betonte, die Zentralbank hinke nicht hinterher und verfalle auch nicht in Panik. Die US-Notenbank Fed hatte im März ihre Zinswende eingeleitet. Anfang Mai folgte eine Erhöhung um einen halben Prozentpunkt auf die neue Zins-Spanne von 0,75 bis 1,00 Prozent - der grösste Zinssprung seit 22 Jahren. Weitere Zinssprünge wurden in Aussicht gestellt.

Die EZB kauft jedoch noch weiter Anleihen auf und hat erst für Juli eine Zinswende signalisiert, wenn das Ankaufprogramm gestoppt sei. Laut Lagarde unterscheidet sich die Lage in den USA jedoch weitgehend von der in der Euro-Zone. Die Inflation werde im gemeinsamen europäischen Währungsraum von der Angebotsseite angetrieben - also beispielsweise durch teurere Energie im Zuge des Ukrainekrieges und nicht durch einen Nachfrageschub. Die Inflation in der Euro-Zone lag im April auf dem Rekordwert von 7,4 Prozent. Das ist mehr als dreimal so viel wie die 2,0 Prozent Teuerung, die die Notenbank als optimalen Wert für die Wirtschaft im Währungsraum anstrebt. Entsprechend hat der Druck auf die EZB zugenommen, die Zinszügel anzuziehen.

(Reuters)