Es handelt sich dabei um die so genannten zugrundeliegenden Preistrends. Sie klammern zwar volatile Komponenten wie Lebensmittel und Energie aus. Die Effekte von Logistikproblemen und steigenden Öl- und Gaspreisen bleiben jedoch nicht aussen vor und könnten das Bild somit verzerren.

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane deutete in einer kürzlich gehaltenen Rede an, dass die Messwerte derzeit möglicherweise zu unzuverlässig sind, um die Geldpolitik daran auszurichten. Angesichts der Bedrohung der Konjunktur durch Russlands Ukraine-Invasion könnte damit die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung in diesem Jahr sinken - dem Umstand zum Trotz, dass die Gesamtinflation fast dreimal so hoch ist wie das offizielle Ziel der EZB von 2 Prozent.

"Was in den Daten vor sich geht, ist wirklich schwer zu verstehen", betonte Nick Kounis, Leiter der Makro- und Finanzmarktanalyse bei ABN Amro. Lane habe nicht ganz unrecht: "Die angebots- und energiegetriebene Inflation - im Gegensatz zur lohngetriebenen - drückt auf die Kaufkraft und sät wohl die Saat ihres eigenen Untergangs." Erhöhte Preise dämpften die Nachfrage und bremsten die Konjunktur.

Bevorzugte Messgrösse auf dem höchsten Stand seit neun Jahren

Unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte die EZB geschätzt, dass das Wirtschaftswachstum in der Eurozone dadurch in diesem Jahr um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte belastet wird. Die Massnahmen der Notenbank sollen auf der weiteren Datenentwicklung basieren, wie die geldpolitischen Entscheider betonen. Sie halten die graduelle Rücknahme der Stimuli jedoch weiter für den angemessensten Plan. 

Die neuen Prognosen, die auf der EZB-Sitzung am Donnerstag vorlegt werden, dürften zeigen, dass die Preise nach dem diesjährigen Rekordanstieg nachhaltig und im Einklang mit dem offiziellen Ziel von 2 Prozent steigen. Lane, der auf den EZB-Ratssitzungen die Vorschläge zur Geldpolitik unterbreitet, ist indessen bestrebt, nichts zu überstürzen.

Die Kerninflation im Euroraum erreichte im Februar den Rekordwert von 2,7 Prozent. Sogar ein Mass für den Dienstleistungssektor - der von Bloomberg Economics bevorzugte Indikator für den inländischen Inflationsdruck - zeigt, dass die Unternehmen ihre Preise so schnell wie seit zehn Jahren nicht mehr erhöht haben, wenn man sie um die Pandemieunterbrechungen bereinigt. Die von der EZB bevorzugte Messgrösse für die Inflationserwartungen hat mit 2,4 Prozent den höchsten Stand seit neun Jahren erreicht, wie Zahlen vom Dienstag zeigten.

Lohnentwicklung massgebend

Ob sich diese Zuwächse, die mit Energie- und Versorgungsengpässen zusammenhängen, umkehren oder zu einem nachhaltigen Inflationsschub führen werden, hängt vor allem von den Löhnen ab, sagt Bloomberg-Economics-Volkswirtin Maeva Cousin. Der Lohndruck wird jedoch durch die Implikationen des Kriegs in der Ukraine gedämpft. 

Unter anderem EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat indessen den "breit angelegten Charakter" der Inflation hervorgehoben, die weit über den Energiebereich hinausgeht, und die Risiken betont, die eine zu späte Reaktion berge. Einige argumentieren auch, dass das Lohnwachstum nicht tatsächlich anziehen, sondern nur sichtbar sein müsse, um Massnahmen auszulösen.

"Die Glaubwürdigkeit der EZB steht auf dem Spiel", sagte Agnes Belaisch, Chefstrategin Europa bei Baring Investment Services Limited. "Sie sollten aufhören, das alte Lied zu singen und und klar sagen, womit wir es zu tun haben. Die Inflation beschleunigt sich und wird dies auch in den kommenden Monaten tun."

Um die langfristigen Renditen zu verankern, sollte die EZB im Rahmen eines Kriegszeiten-Plans weiterhin Anleihen kaufen, so Belaisch. Gleichzeitig sollte sie ihre Bereitschaft signalisieren, zur Inflationsbekämpfung die Leitzinsen zu erhöhen.

(Bloomberg)