Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz um einen Dreiviertel-Prozentpunkt auf 1,25 Prozent zu erhöhen. Eine so starke Anhebung hat es seit Einführung des Euro-Bargelds noch nie gegeben. Experten zufolge galt eine Erhöhung um 0,50 Prozentpunkte als Mindestschritt. Befragte Ökonomen rechneten in einer knappen Mehrheit mit einem Schritt um 0,75 Prozentpunkte.

Die EZB stellte zugleich weitere Zinserhöhungen in den nächsten Monaten in Aussicht. Dass der Entscheid so erwartet worden war, zeigt die Reaktion an den Märkten. Der Swiss Market Index ist nach dem Entscheid kaum verändert und steht bei 10'803 Punkten. Ebensowenig zeigt sich beim Kurs Euro/Franken eine Regung. Das Währungspaar steht bei 97,44 Rappen pro Euro.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nach Worten ihrer Präsidentin Christine Lagarde keinen konkreten Wechselkurs des Euro im Visier. Sie nehme die Kursschwäche und Abwertung der Gemeinschaftswährung vor allem zum Dollar zur Kenntnis, sagte Lagarde am Donnerstag in Frankfurt auf der Pressekonferenz nach dem Beschluss einer Zinserhöhung von 0,75 Prozentpunkten. Die Währungshüter verfolgten die Entwicklungen am Devisenmarkt sehr aufmerksam, zudem habe der Euro-Kurs einen Einfluss auf die hohe Inflation. "Aber wir zielen nicht auf einen Wechselkurs ab." Dies habe die EZB nicht getan und werde es auch künftig nicht tun, betonte Lagarde.

Die Teuerungsrate im Euroraum wird im laufenden Jahr nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) noch deutlich höher ausfallen als vor drei Monaten erwartet. Die Notenbank rechnet inzwischen mit 8,1 Prozent Inflation im Gesamtjahr 2022. In ihrer Juni-Prognose hatte die EZB noch eine Teuerungsrate von 6,8 Prozent für das laufende Jahr vorhergesagt.

2023 werde die Inflation dann voraussichtlich bei 5,5 (Juni-Prognose: 3,5) Prozent liegen und 2024 dann auf 2,3 (Juni-Prognose: 2,1) Prozent sinken. "Der Preisdruck hat in der gesamten Wirtschaft weiterhin an Stärke und Breite gewonnen", räumten die Währungshüter ein. "Getrieben wird die Inflation weiterhin von stark steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen, dem in einigen Sektoren herrschenden Nachfragedruck infolge der Wiedereröffnung der Wirtschaft sowie von Lieferengpässen."

Druck auf Lagarde gestiegen

Die Euro-Wächter hatten im Juli die Abkehr von ihrer jahrelangen Ära der Nullzinspolitik eingeleitet und dabei die Zinsen erstmals seit 2011 nach erhöht.  Der Druck auf Lagarde & Co hatte zuletzt deutlich zugenommen. Denn die Inflation in der Euro-Zone erklimmt inzwischen immer neue Höchstwerte. Im August stieg sie auf 9,1 Prozent und ein Abklingen des Teuerungsschubs ist angesichts der Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs nicht in Sicht.

Die EZB hatte die hohe Inflation lange als vorübergehend interpretiert und hat deutlich später als andere viele andere Zentralbanken die Zinswende eingeleitet. Die US-Notenbank Fed beispielsweise hat ihre Leitzinsen bereits mehrfach nach oben geschraubt, dabei zweimal um jeweils 0,75 Prozentpunkte.

Ein Ende der Preissteigerungen im Euroraum ist nicht in Sicht: Im August kletterte die Inflation im Währungsraum der 19 Länder getrieben von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen auf die Rekordhöhe von 9,1 Prozent. Volkswirte rechnen für die nächsten Monate mit einem weiteren Anstieg. Die EZB strebt für den gemeinsamen Währungsraum mittelfristig ein stabiles Preisniveau bei einer Jahresteuerung von zwei Prozent an.

(cash/Reuters/AWP)