Die jüngsten Verkaufswelle am Anleihemarkt ruft die Europäische Zentralbank auf den Plan. Überraschend wurde eine Sondersitzung des EZB-Rats einberufen. Laut mehreren Insidern startete die Sitzung um 11.00 Uhr. "Der EZB-Rat wird am Mittwoch eine Ad-hoc-Sitzung abhalten, um die aktuellen Marktbedingungen zu diskutieren," sagte ein Sprecher. Details nannte er nicht. Mit einer Mitteilung wurde am frühen Nachmittag gerechnet. Die EZB hatte am vorigen Donnerstag im Kampf gegen die hohe Inflation eine Reihe von Zinserhöhungen angekündigt. Seitdem waren die Anleihe-Renditen stark gestiegen, was insbesondere höher verschuldete Euro-Länder wie Italien unter Druck setzen könnte.

Der Renditeabstand (Spread) zwischen den Bonds Deutschlands und den Staatsanleihen höher verschuldeter Euro-Länder im Süden wie insbesondere Italien war zuletzt auf den höchsten Stand seit über zwei Jahren geschossen. Für stärker verschuldete Euro-Länder könnten die höheren Risikoaufschläge Experten zufolge zu einem Problem werden, weil sich damit die Finanzierungskosten erhöhen. Im Zuge der Nachricht von der EZB-Sondersitzung legte der Euro um 0,69 Prozent auf 1,0484 Dollar zu. Die Rendite der zehnjährigen italienischen Staatsanleihen fiel im Gegenzug um fast 0,22 Prozentpunkte.

Laut EZB-Direktorin Isabel Schnabel beobachtet die Notenbank die Entwicklung am Anleihemarkt genau. In einem Vortrag in Paris sagte sie am Dienstag, die Geldpolitik könne und solle auf eine ungeordnete Neubewertung von Risikoaufschlägen reagieren, die die Preisstabilität bedrohe und die Massnahmen der Notenbank durchkreuze. Notfalls werde die EZB auch neue Instrumente entwickeln und einsetzen. Diese könnten unterschiedlich ausgestaltet werden und würden innerhalb des Mandats verbleiben.

Reinvestitionen als erste Verteidigungslinie

Ein erstes Gegenmittel, um die Renditeabstände einzudämmen, könnte eine flexible Wiederanlage der Gelder aus abgelaufenen Anleihen im Rahmen des billionenschweren Bond-Kaufprogramms PEPP sein. Die Gelder könnten dann gezielt in die Staatsanleihen betroffener Länder fliessen, um den Renditeschub einzudämmen. Einigen Analysten zufolge könnte dies aber womöglich nicht ausreichen, um die Anleihemärkte zu beruhigen.

Die jüngsten Ausschläge dort wecken Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor einem Jahrzehnt. Damals konnten die Finanzmärkte erst beruhigt werden, als der damalige EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Zentralbank werde alles innerhalb ihres Mandats tun, um den Euro zu retten ("whatever it takes"). Auf das Verspechen hin folgte die Entwicklung des Anleihenkaufprogramms OMT, mit dem die Notenbank gezielt unbegrenzt Staatsanleihen betroffener Länder aufkaufen kann. Das Programm wurde allerdings bislang noch nie umgesetzt. Allein die Ankündigung reichte damals aus, um die Renditeanstiege einzudämmen.

Wie ernst die Notenbank die aktuelle Entwicklung diesmal sieht, machte EZB-Direktorin Schnabel am Dienstag deutlich. Das Engagement der EZB für den Euro kenne keine Grenzen, sagte Schnabel in Paris. "Und unsere Erfolgsbilanz, wenn nötig einzuschreiten, bestätigt dieses Engagement", sagte sie. Die Euro-Notenbank könne in sehr kurzer Zeit Antworten finden, sollte die Geldpolitik gefährdet sein.

Als die EZB das bislang letzte Mal eine Sondersitzung im Zuge von Marktturbulenzen abhielt, wurde kurz danach das billionenschwere Corona-Notfallkaufprogramm PEPP aufgelegt. Während der Pandemie war dieses das wichtigste Instrument der Geldpolitik, um für günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen.

Analysten erwarten diesmal zumindest einen deutlichen Warnhinweis in Richtung Finanzmärkte. "Wir rechnen mit einem starken verbalen Bekenntnis der EZB, dass sie eine Fragmentierung innerhalb der Rentenmärkte nicht tolerieren werde", meint etwa Ulrike Kastens, Europa-Volkswirtin der Fondsgesellschaft DWS. Ausdrücklich werde sie als eine erste Verteidigungslinie die stärkere konkrete Flexibilisierung der Reinvestitionen bei den Anleihenkäufen in den Mittelpunkt stellen. "Dies könnte zu einer Beruhigung des Marktes beitragen", sagte die Expertin. 

(Reuters)