Die Europäische Zentralbank beliess den geldpolitischen Schlüsselsatz am Donnerstag auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Zugleich müssen Finanzinstitute weiterhin Strafzinsen berappen, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank parken. Den dafür gültigen sogenannten Einlagesatz beliessen die Währungshüter bei minus 0,5 Prozent.

Experten sagten dazu in ersten Reaktionen:

Jens-Oliver Niklasch, LBBW: "Corona nimmt als Risiko für die Wirtschaft im Euro-Raum ab und wird von der hohen Inflation verdrängt. Lagardes Ansage zur Inflation heute: Wir werden aufmerksam bleiben! Dazu die Ausführungen zur Frage, ob ihr Versprechen weiterhin gilt, dass es dieses Jahr sehr wahrscheinlich keine Zinserhöhungen geben werde. Lagarde schränkte es soweit ein, dass dies von den Daten abhänge, überstürzen wolle man nichts. Man muss dennoch konstatieren, dass der Supertanker EZB langsam seinen Kurs ändert. Vielleicht auch, um nicht den Anschluss an den Konvoi der anderen Notenbanken zu verlieren."

Christian Ossig, Privatbankenverband BDB: "Die Inflation hat die EZB-Prognosen auch zum Jahresbeginn bei weitem übertroffen. Trotzdem verharrt die Europäische Zentralbank weiter in ihrer Warteposition. Die Geldpolitik bleibt unangemessen expansiv. Das Risiko, dass die EZB noch in diesem Jahr abrupt umsteuern muss, steigt erheblich. Dabei ist inzwischen an den Finanzmärkten eine Leitzinserhöhung noch in diesem Jahr eingepreist. Dass die EZB dennoch ihre Position aus dem vergangenen Jahr unverändert beibehält, wird die Investoren weiter irritieren."

"Ein erster Schritt auf dem Weg zum Ausstieg aus den Negativzinsen wäre eine Erhöhung des Freibetrages auf die Überschussliquidität der Banken. Der Hinweis auf eine 'sorgfältige Prüfung' dieser Option reicht nicht aus. Während der Pandemie ist die Überschussliquidität im Euro-Raum sprunghaft angestiegen. Die Banken im Euro-Raum zahlen derzeit auf ein Jahr hochgerechnet etwa 17,7 Milliarden Euro an Negativzinsen an die EZB."

Jörg Krämer, Commerzbank: "Das Kommuniqué zur geldpolitischen Entscheidung lässt nicht erkennen, dass die EZB durch die hohen Inflationsraten beeindruckt wäre. Mit Blick auf die Leitzinsen behält sie sich formal noch immer eine weitere Zinssenkung vor, obwohl eine Zinserhöhung notwendig wäre. Schliesslich hat die unerwartet hohe Januar-Inflation die Inflationsprognosen der EZB zur Makulatur werden lassen."

Thomas Gitzel, VP Bank: "Innerhalb der EZB dürfte die Nervosität zunehmen. Zwar kann die EZB gegen steigende Energiepreise und Preiserhöhungen aufgrund gestörter Lieferketten nichts unternehmen, doch sie kann ein Signal setzen, dass man in Frankfurt bereit ist, etwaigen Zweitrundeneffekten entgegenzutreten."

Friedrich Heinemann, ZEW: "Die Zinspolitik und Wertpapierkäufe der EZB wirken inzwischen wie aus der Zeit gefallen. Europas Zentralbank betreibt im Grunde immer noch eine Politik der Deflationsbekämpfung, obwohl Europa den stärksten Inflationsschub seit Einführung des Euro erlebt und auch die Inflationserwartungen klettern. Der EZB-Rat riskiert inzwischen, die Reputation dieser Institution ernsthaft zu beschädigen. Immer mehr Beobachter der Geldpolitik fragen sich, ob die EZB wirklich noch der Preisstabilität oberste Priorität einräumt. Mit dem rigiden Festhalten an einem extrem lockeren Kurs trotz einer überraschend hartnäckig hohen Inflation wächst der Verdacht, dass eine Mehrheit im EZB-Rat inzwischen von ganz anderen Zielen wie etwa der leichten Finanzierbarkeit hoher Staatsdefizite getrieben wird."

Alexander Krüger, Hauck Aufhäuser Lampe: "Die EZB hat sich von der Inflationspanik nicht anstecken lassen. Ihren geldpolitischen Beschlüssen zufolge macht sie weiter wie bisher. Für ein schnelleres Zurückfahren an geldpolitischer Unterstützung bedarf es deutlich höherer Inflationsprojektionen für 2023/24."

(Reuters)