Nur die Hälfte der Staaten, die insgesamt für etwa 85 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung stehen, hat sich den vorwiegend westlichen Sanktionen angeschlossen, die gegen Russland wegen seines Einmarsches in der Ukraine verhängt wurden.

Und dies, obwohl hochrangige Vertreter der kleineren Gruppe wohlhabender Nationen um die halbe Welt gereist waren, um dafür zu werben, das wirtschaftliche Netz um Russland enger zu ziehen. Auch wenn diese Länder Moskau nicht aktiv dabei helfen, die Sanktionen zu umgehen, kam die kalte Schulter vieler G20-Mitglieder dennoch überraschend.

Für US-Aussenminister Antony Blinken ist es eine unbequeme Wahrheit auf seiner Reise durch Südostasien und Afrika: Ein Grossteil der Welt ist nicht bereit, den Bemühungen der USA und Europas zu folgen, Russland zu isolieren.

«Grenzenlose» Freundschaft

Das macht eine Einigung auf globale Initiativen wie die von der G7 vorgeschlagene Deckelung des Preises für russisches Öl noch schwieriger. Putin und seinen wichtigsten Unterstützer, den chinesischen Präsident Xi Jinping, ermutigt es dagegen bei der Verfolgung ihrer jeweiligen globalen Ziele.

China ist der wichtigste Quertreiber. Xi hat sich mit Putin verbündet und nur wenige Wochen vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine eine “grenzenlose” Freundschaft erklärt. Chinas Ausgaben für Energieträger aus Russland sind seit dem Ausbruch des Krieges sprunghaft angestiegen - im Juni um 72 Prozent.

China ist ohnehin in eine Rivalität mit den USA verwickelt und die Spannungen wurden durch den Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taipeh noch verschärft. Und mit den G7 gibt es einen eigenen Streit, nachdem das Forum eine Erklärung abgegeben hatte, in der es seine Besorgnis über Pekings “bedrohliche Handlungen” zum Thema Taiwan zum Ausdruck brachte.

Ein für diese Woche in Kambodscha geplantes persönliches Treffen zwischen den Aussenministern Chinas und des G-7-Mitglieds Japan wurde von Peking abgesagt. Japan teilte am späten Donnerstag mit, dass einige von China bei Übungen in der Nähe von Taiwan abgefeuerte ballistische Raketen in seiner exklusiven Wirtschaftszone gelandet seien - das erste Mal, dass dies der Fall war - und legte diplomatischen Protest ein.

Misstrauen gegen ehemalige Kolonialmächte

Doch nicht nur Peking lehnt die Appelle zur Zügelung des Kremls ab. Der indische Premierminister Narendra Modi telefonierte am 1. Juli mit Putin und erörterte, wie der Handel ausgebaut werden könnte. Luiz Inacio Lula da Silva, der Spitzenkandidat im brasilianischen Präsidentschaftswahlkampf, gab ebenso wie Russland der Ukraine die Schuld am Krieg.

In Südafrika kritisierte Präsident Cyril Ramaphosa die von den USA verhängten Sanktionen. Die Türkei kam zu dem Schluss, dass eine Bestrafung Russlands die wirtschaftlichen und politischen Interessen Ankaras verletzen würde, so ein hoher Offizieller, der einen Schaden von 35 Milliarden Dollar durch höhere Energiekosten und die Auswirkungen auf den Tourismus anführte.

Wirtschaftliche Interessen sind ein Grund für die Zurückhaltung des so genannten globalen Südens. Aber es gibt noch weitere, darunter historische Beziehungen zu Moskau, Bedenken angesichts von Anzeichen eines Rückzugs der USA und Misstrauen gegenüber ehemaligen Kolonialmächten.

Es gibt Parallelen zu den von den USA angeführten Bemühungen, eine Koalition von Demokratien gegen Peking zu bilden. US-Handelsstaatssekretär Alan Estevez erklärte im Juli, dass die Zusammenarbeit Washingtons mit 37 Ländern bei der Verhängung von Ausfuhrkontrollen gegen Russland als Vorbild diene für ein neues System zur Bekämpfung von Bedrohungen aus China.

Auch hier können die USA und gleichgesinnte Länder nur auf begrenzte Erfolge verweisen, da die G20-Mitglieder, darunter der diesjährige Gastgeber Indonesien, weiterhin grosse Geschäfte mit chinesischen Staatsunternehmen machen.

Wettbewerb um Einfluss

Saudi-Arabien, das durch seine Mitgliedschaft im Ölkartell OPEC+ weiterhin gute Beziehungen zu Moskau unterhält, ist ein weiteres Beispiel. Das Land ist auch mit Peking auf einer Wellenlänge: Kronprinz Mohammed bin Salman sagte kürzlich, dass viele chinesische Unternehmen bereits in Neom, seinem geplanten Megaprojekt, tätig seien.

Riad müsse sich nicht zwischen amerikanischer und chinesischer Technologie entscheiden. Man könne auch “einen McDonald’s und einen Burger King in derselben Strasse haben”, sagte die saudische Botschafterin in den USA, Prinzessin Reema bint Bandar, gegenüber Reportern während des Besuchs von Präsident Joe Biden letzten Monat.

Diese Ansatz in der Aussenpolitik hat zu einem Wettbewerb um Einfluss geführt. Bundeskanzler Olaf Scholz lud Argentinien, Indonesien, Indien und Südafrika, die alle keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben, zu seinem G-7-Gipfel Ende Juni ein, bei dem die Ukraine im Mittelpunkt stand.

Dieser eher sanfte Machtkampf zeigte sich auch letzten Monat in Afrika, als der russische Aussenminister Sergej Lawrow für Moskaus Kernkrafttechnologie gelobt wurde. Er nutzte die Gelegenheit, um Russlands historische Unterstützung für afrikanische Befreiungsbewegungen zu betonen, während er gleichzeitig behauptete, dass die Sanktionen Schuld an der unsicheren Ernährungslage wären, nicht die Blockade der ukrainischen Getreidehäfen durch den Kreml.

Moskau hat diese Botschaft mit einem medialen Trommelfeuer untermauert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron klagte auf seiner eigenen Afrikareise, Russland führe auf dem Kontinent “eine neue Art von hybridem Weltkrieg.”

Besonderes Mass an Aufmerksamkeit

China ist in Afrika nach einem ähnlichen Schema vorgegangen. Ein afrikanisches Land ist abwechselnd mit China Gastgeber des alle drei Jahre stattfindenden Forums für chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit (FOCAC), an dem der chinesische Präsident traditionell teilnimmt und mit fast jedem Staatschef ein persönliches Gespräch führt. Wenn das FOCAC in Peking stattfindet, wird der rote Teppich ausgerollt, und das winzige Äquatorialguinea wird mit der gleichen Wichtigkeit behandelt wie Nigeria - ein Mass an Aufmerksamkeit, das in Washington fehlt.

China weiss, dass jeder afrikanische Staat eine Stimme bei den Vereinten Nationen und ihren Institutionen hat, und das hat sich diplomatisch ausgezahlt. Anfang dieses Jahres reichten die USA beim Menschenrechtsrat ein Schreiben ein, in dem sie China wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang anprangerten, und das von 47 Nationen, hauptsächlich europäischen Verbündeten, unterzeichnet wurde. Kuba antwortete mit einer Erklärung im Namen Chinas, die von 62 Ländern, hauptsächlich aus dem globalen Süden, unterstützt wurde.

Blinkens Entscheidung, am 7. August von Asien nach Südafrika und anschliessend in die Demokratische Republik Kongo und nach Ruanda zu reisen, sieht wie ein Versuch aus, den Fuss nicht nur gegen China, sondern auch gegen Russland wieder in die Tür zu bekommen.

(Bloomberg)