Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte am Sonntag einen entsprechenden Bericht eines Reuters-Fotografen und sprach von einer ersten Gruppe von 100 Zivilisten. Die russische Seite sprach von 80 Zivilisten. "Wir sind unserem Team dankbar! Jetzt arbeiten sie zusammen mit den Vereinten Nationen an der Evakuierung weiterer Zivilisten aus dem Werk", twitterte er. Auch ein Sprecher der Vereinten Nationen bestätigte, dass die Zivilisten das Gelände durch einen sicheren Korridor verlassen konnten.

Zunächst war eine Gruppe von rund 40 Personen aus dem Stahlwerk nach Angaben eines Reuters-Fotografen in einem vorübergehenden Aufnahmezentrum in dem Dorf Bezimenne in der Donezk-Region eingetroffen. Die Personen seien in Bussen mit ukrainischen Nummerschildern in einem Konvoi mit russischen Truppen und Fahrzeugen mit UN-Emblem angekommen, berichtete er. Präsident Selenskyj sprach davon, dass die Zivilisten dann in die von der ukrainischen Seite kontrollierte Stadt Zaporizhzhia gebracht worden seien. Die ukrainischen Behörden bestätigten, dass sich beide Seiten an den Waffenstillstand zur Evakuierung gehalten hätten.

Russische Truppen belagern seit Wochen die durch Beschuss stark zerstörte Stadt Mariupol. Während sie weite Teile der Stadt erobert haben, harren einige hundert ukrainische Soldaten und Kämpfer in dem Stahlwerk aus. Seit Tagen gibt es Appelle an die russischen Truppen, die dort ebenfalls eingeschlossenen Frauen und Kinder passieren zu lassen. Die ukrainischen Soldaten wollen sich dagegen bisher nicht ergeben.

Russland bombardiert westliche Waffenlieferungen

Unterdessen gehen die schweren Kämpfe vor allem in der Ostukraine weiter. Russland nimmt aber verstärkt auch westliche Waffenlieferungen in die Ukraine ins Visier. Das russische Verteidigungsministerium teilte am Sonntag mit, dass man eine neu angelegte Landesbahn auf einem militärischen Flugplatz nahe der Stadt Odessa mit Onyx-Raketen zerstört habe. Der Angriff haben Waffen gegolten, die die USA und EU-Staaten der Ukraine lieferten. Westliche Staaten hatten in der vergangenen Woche verabredet, der Ukraine auch schwere Waffen zu liefern, um sich gegen die russischen Invasoren verteidigen zu können. Die russische Regierung hatte darauf hin angekündigt, nun gezielt Depots und Transportwege für diese Waffen zu zerstören. So würden etwa Bahnknotenpunkte angegriffen, die Militärmaterial zu den Kampfregionen im Osten der Ukraine transportieren sollen.

Offenbar gibt es aber auch Angriffe auf den russischen Nachschub. So ist in der russischen Region Kursk an der Grenze zur Ukraine nach russischen Angaben eine Eisenbahnbrücke beschädigt worden. Der Gouverneur der Region, Roman Starowoit, sprach von einem Sabotageakt, der auf die für den Güterverkehr wichtige Bahnstrecke verübt worden sei. Die russischen Eisenbahnen spielen eine wichtige Rolle für die militärische Logistik. Selenskyj sprach davon, dass Russland derzeit seine Truppen im Osten des Landes verstärke. "Russland sammelt zusätzliche Kräfte für neue Angriffe gegen unser Militär im Osten des Landes", sagte er in einer Videoansprache. Damit versuche Russland den militärischen Druck im Donbass zu erhöhen. Russland hatte vor zwei Wochen als Kriegsziel die Eroberung des gesamten Donbass genannt. Dort kontrollieren prorussische Separatisten bereits seit 2014 einige Regionen in den Gebieten Luhansk und Donezk.

Ukrainische Behörden meldeten weitere russische Raketenangriffe auf Ziele im Süden und Osten der Ukraine. Während die Ukraine unter anderem den Abschuss von russischen Bombern mitteilten, sprach das russische Verteidigungsministerium davon, dass man zwei ukrainische SU-24-Bomber über der Region Charkiw im Nordosten der Ukraine abgeschossen habe. Reuters konnte die Angaben nicht überprüfen.

Russische Truppen waren am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert. Westliche Staaten sprechen von einem Angriffskrieg Russlands und Verbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Seit Beginn der russischen Invasion sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als fünf Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Die Regierung in Moskau bezeichnet ihr Vorgehen als Sondereinsatz zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung des Nachbarlandes. Sie weist Vorwürfe zurück, Zivilisten anzugreifen.

Pelosi besucht Kiew

Präsident Selenskyj traf sich in Kiew mit der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. "Ihr Kampf ist unser aller Kampf. Unsere Verpflichtung besteht darin, für Sie da zu sein, bis der Kampf beendet ist", sagte Pelosi in einem von Selenskyj auf Twitter geteilten Video. 

(Reuters/cash)