Zwei Stunden debattierten die Ständerätinnen und Ständeräte über die Vorlage. Schliesslich stimmte die kleine Kammer der Freigabe der Kohäsionsmilliarde mit 30 zu 9 Stimmen zu. Sie folgte damit dem Bundesrat und ihrer Aussenpolitischen Kommission (APK-S), welche der Vorlage mit 11 zu 2 Stimmen zugestimmt hatte.

Die Räte haben den zweiten Schweizer Beitrag an die östlichen EU-Mitgliedstaaten in Höhe von 1,3 Milliarden Franken bereits im Jahr 2019 im Grundsatz verabschiedet. Das Parlament entschied dabei aber, dass die Gelder erst gesprochen werden sollen, wenn die EU keine diskriminierenden Massnahmen gegenüber der Schweiz erlässt. Das bezog sich insbesondere auf die von der EU Ende Juni 2019 nicht verlängerte Anerkennung der Börsenäquivalenz. Die EU machte seither keinen Schritt auf die Schweiz zu.

Ohne Freigabe geht nichts

Nach dem Abbruch der Verhandlungen um ein Rahmenabkommen will der Ständerat mit der Freigabe der Kohäsionsmilliarde wieder einmal ein positives Zeichen setzen und die Beziehungen mit Brüssel etwas auflockern. "Die gegenseitige Blockadepolitik hat auf keiner Seite die gewünschten Ziele erreicht, deshalb müssen wir sie beenden", sagte Kommissionssprecher Matthias Michel (FDP/ZG).

Andrea Gmür-Schönenberger (Mitte/LU) konstatierte, dass die Hauptdossiers mit der EU praktisch ausnahmslos blockiert seien. Die Freigabe des Kohäsionsbeitrags bekräftige die Verlässlichkeit der Schweiz. "Es ist die Basis für die Fortführung des bilateralen Wegs." Die Kohäsionszahlungen seien geschuldet, gab Pirmin Bischof (Mitte/SO) zu bedenken.

Es könne zwar niemand versprechen, dass die EU nach der Freigabe der Gelder einen Schritt auf die Schweiz zukomme, gab Daniel Jositsch (SP/ZH) zu. Klar sei aber: "Ohne Freigabe werden wir definitiv nichts erreichen."

Benedikt Würth (Mitte/SG) warb für ein "pragmatisches Ja" zur Vorlage. "Es geht um ein nicht günstiges Ticket für den Binnenmarkt", sagte er. Nun müsse auch die EU Zugeständnisse machen. Viele verbinden mit der Freigabe der Gelder die Hoffnung, dass Brüssel danach bereit ist, der Schweiz bei der Forschungszusammenarbeit entgegenzukommen. Im Sommer stufte die EU die Schweiz beim EU-Forschungsprogramm Horizon Europe bis auf weiteres nur noch als nicht assoziierter Drittstaat ein.

"Falsch und grobfahrlässig"

"Hoffnung ist in der Politik ein schlechter Ratgeber", konterte Thomas Minder (parteilos/SH), der sich im Namen der Kommissionsminderheit gegen die Vorlage starkmachte. Er bezeichnete die bedingungslose Freigabe der Gelder als "falsch und grobfahrlässig".

Der Tessiner Ständerat und SVP-Präsident Marco Chiesa kritisierte die "kolonialistische Politik" der EU. Die EU sei auch auf die Schweiz als guten und wichtigen Vertragspartner angewiesen, nicht nur umgekehrt. "Ein Dialog ohne Vertrauensbasis ist zum Scheitern verurteilt", sagte Jakob Stark (SVP/TG).

Die Gegner der Vorlage im Ständerat - neben der SVP auch einzelne Vertreterinnen und Vertreter der Mitte - monierten weiter, dass die Freigabe im Eilzugtempo erfolgen soll. "Wir wären gut beraten, auch die Stimmung in der Bevölkerung miteinzubeziehen", sagte Minder. Ihm geht gegen den Strich, dass gegen den Parlamentsentscheid kein Referendum ergriffen werden kann.

Bundesrat will Zeichen setzen

Aussenminister Ignazio Cassis stand im Namen des Bundesrats für eine rasche Deblockierung der Gelder ein. "Wir müssen den Blick nun nach vorne richten." Der Bundesrat wolle auch ohne das institutionelle Abkommen eine zuverlässige und engagierte Partnerin der EU bleiben.

Cassis machte jedoch klar: "Eine Freigabe ist keine Garantie dafür, dass die Schweiz künftig bei Horizon Europe oder Erasmus plus mitmachen kann." Es gelte nun aber, ein Zeichen zu setzen.

Die Zeit bei der Kohäsionsmilliarde dränge, sagte Cassis weiter. So könnten Verpflichtungen auf der Grundlage des Rahmenkredits Kohäsion nur bis Dezember 2024 eingegangen werden. Für eine ordnungsgemässe Verteilung der Gelder brauche es sorgfältige Vorbereitungsarbeiten, die erfahrungsgemäss mindestens drei Jahre dauerten.

In anderen Worten: Gibt das Parlament das Geld nicht rasch endgültig frei, wären verschiedene Kohäsionsprojekte in Osteuropa ernsthaft gefährdet beziehungsweise nicht mehr im vorgesehenen Umfang möglich.

Kohäsion und Migration

Das Ja des Ständerats ist erst die halbe Miete. Zu einer raschen Freigabe der Gelder an die EU kommt es nur dann, wenn am Donnerstagabend auch der Nationalrat der Vorlage ohne Differenzen zustimmt - und er auf eine neue Verknüpfung der Kohäsionsbeiträge mit weiteren Dossiers verzichtet. Die Zeichen dafür stehen gut.

Zwar hatte die Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N) im Vorfeld der Beratungen entschieden, dass Verpflichtungen erst eingegangen werden sollen, nachdem der Bundesrat die Finanzierungsbotschaft zur Teilnahme der Schweiz an Erasmus plus vorgelegt hat. Inzwischen wurde aber bereits eine entsprechende Motion angenommen. Die Bedingung dürfte also aus der Vorlage gestrichen werden.

Stimmt das Parlament dem Geschäft zu, unterstützt die Schweiz in den nächsten Jahren Entwicklungsprojekte in dreizehn EU-Ländern mit 1,1 Milliarden Franken. Weitere 200 Millionen Franken sind für Projekte im Bereich Migration und Asyl in einzelnen EU-Staaten vorgesehen.

(AWP)