Der 53-Jährige Patrik Gisel trat heute Donnerstag gleich an seinem ersten offiziellen Arbeitstag vor die Medien in Zürich. Und er hatte eine klare Message: Der seit 20 Jahre anhaltende Boom am Schweizer Immobilienmarkt ist fundamental begründet und nicht von Spekulation getrieben. Es steht kein Crash bevor, sondern eine Art weiche Landung.

"Wir haben verschiedene Indikatoren aus den letzten 20 Jahren ausgewertet, so zum Beispiel die Erschwinglichkeit und Tragbarkeit von Wohneigentum. Da sehen wir keine Alarmsignale", sagt Gisel im cash-Video-Interview. Die Preisentwicklung basiere auf Faktoren, die nicht spekulativ seien. "Das ist der grosse Unterschied zu den Immobilen-Crashes in der Vergangenheit", so Gisel.

Trotzdem kann man am Markt für Schweizer Wohnimmobilien derzeit noch immer satte und anhaltende Preissteigerungen beobachten. Laut Gisel muss man aber die Segmente unterscheiden: "Im Hochpreissegment, welches in der Regel immer boomtreibend wirkt, haben wir bereits negative Vorzeichen." In den anderen Segmenten wüchsen die Preise zwar noch immer, und dies bis zu 2,5 Prozent. "Wir betrachten dieses Wachstum als vernünftig und gesund, es wird sich aber auch abschwächen in den nächsten Monaten und Semestern."

Gisel stützt sich mit seinen Aussagen auf eine von Raiffeisen erstellte Studie unter der Leitung von Chefökonom Martin Neff. Als Argument für eine weiche Landung des Schweizer Immobilienmarktes sprechen laut der Studie auch die Selbstregulierung der Banken mit verschärften Amortisationsvorschriften sowie geforderten 10 Prozent Eigenkapital.

SNB hat andere Sicht

Eine etwas andere Sicht als Raiffeisen vertritt die Schweizerische Nationalbank. Sie warnt immer wieder vor dem Gefahrenpotenzial auf den Schweizer Hypothekar- und Immobilienmärkten. Rendite suchende Investoren könnten die Preise für Wohnimmobilien weiter ansteigen lassen, schrieb die SNB etwa in ihrem Jahresbericht zur Finanzstabilität im Juni.

Das rekordtiefe Zinsumfeld biete auch Anreize für Banken, höhere Zins- und Kreditrisiken einzugehen, so die SNB weiter. Längere Laufzeiten und grössere Kreditvolumen könnten als Möglichkeiten erachtet werden, um Negativzinsen zu kompensieren und kurzfristige Gewinne zu stabilisieren. Doch damit stiege das Gefahrenpotenzial der Banken gegenüber Zinsschocks und Korrekturen auf den Hypothekar- und Immobilienmärkten, warnt die SNB.

Das sieht Gisel anders. Vor einem Zinsanstieg der Nationalbank, der auch schnell und in mehreren Schritten erfolgen könnte, hat Raiffeisen keine Angst. "Wir haben dieses Thema untersucht und sind überzeugt, dass ein Anstieg der Zinslandschaft auf 2,5 oder sogar 4 Prozent kein Problem wäre. Die Schweizer Banken berechnen heute die Tragbarkeiten immer mit 5 Prozent. Die Hypothekargewährung findet auf einem sehr sicheren Niveau statt", sagt Gisel im cash-Video-Interview.

Zinsschritt im 2016?

Mit seinen Aussagen schliesst sich Gisel den Ansichten seines Vorgängers Pierin Vincenz an. Bereits früher zerstreute Raiffeisen mehrere Male Ängste vor einer platzenden Immobilienblase. An die Adresse der SNB spricht Raiffeisen in der eigenen Immobilien-Studie von einem "Quäntchen Misstrauen" gegenüber den Banken und Kreditnehmern.

Raiffeisen rechnet damit, das die SNB die Leitzinsen erst immer Sommer 2016 wieder anheben könnte. Das setzt allerdings voraus, dass die US-Notenbank ihren Leitzins im Dezember ihrerseits erhöht und im März mit einem weiteren Zinsschritt nachlegen wird. "Daran habe ich allerdings je länger je mehr meine Zweifel", sagt Gisel. "Somit würde es mich auch nicht wundern, wenn sich auch 2016 nicht viel ändern würde an der Zinsfront".

Patrik Gisel war lange Jahre Stellvertreter von Vincenz. Letzterer übernimmt ab dem heutigen Donnerstag das Verwaltungsratspräsidium des Versicherers Helvetia.

Im cash-Video-Interview äussert sich Patrik Gisel auch zum Ablauf seines ersten Arbeitstages und zu den Margen, welche Banken bei der Hypothekarkreditebranche verdienen.