cash: Herr Hüfner, wo sehen Sie die Gründe für den Absturz an Chinas Börsen?

Martin Hüfner: Alle Welt sagt, die Gründe lägen in China. Das glaube ich nicht. Die Wachstumsschwäche in China kennen wir seit langem und die Börsen haben sich daran gewöhnt. Die Auswirkungen von Chinas Schwäche sind gross für die Region, aber klein für die gesamte Welt. Vielleicht profitieren Europa und die USA sogar von Chinas Verlangsamung, weil die Rohstoffpreise zurückgehen.

Weshalb haben die internationalen Börsen so heftig reagiert?

Im Moment kommt vieles zusammen: Der China-Faktor in seiner Begrenztheit, die Zinserhöhung, die Schwierigkeiten in Brasilien, Australien, Südafrika, Griechenland. Der Markt insgesamt ist überhitzt, die Zinsen sind zu tief, die Wechselkurse stimmen nicht. Die Märkte sind ungesund. Irgendwann musste eine Korrektur kommen. Jetzt kam sie.

Werden solche Verwerfungen in Zukunft häufiger?

Die ungesunden Verhältnisse an den Finanzmärkten sind noch nicht vorbei. Bei den Aktien hat sich eine gewisse Gesundung ergeben. Aber die Zinsen sind nach wie vor praktisch bei null, die Wechselkurse sind nach wie vor verzerrt, die Liquidität ist zu hoch. Es wird eine Zeit dauern, bis an den Finanzmärkten wieder vernünftige Verhältnisse herrschen. Ich glaube daher auch nicht, dass wir so schnell auf die alten Kurse zurückkommen werden.

Wo liegen denn die gesunden Niveaus?

Das ist sehr schwer zu sagen, aber kurzfristige Zinsen von zwei Prozent wären sicherlich besser als null. Ein Euro-Dollar-Kurs von 1,14 ist besser als 1,00. Die Kaufkraftparität liegt eher bei 1,20. Da muss noch viel passieren, und vor allem müssen die Zentralbanken in ihre Funktion zurückkommen, dass sie handeln können. Momentan können sie bei einer Rezession nichts mehr tun.

Was erwarten Sie von Chinas Wirtschaft in Zukunft?

China hat sehr grosse strukturelle Probleme. Der Übergang zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist sehr schwer. Aber bei Wachstumsraten von fünf Prozent dürfte die Talsohle vorerst erreicht sein.

Sie erwarten also keine Wiederholung der Asienkrise von 1997/1998?

Nein. Die Schwellenländer-Problematik ist diesmal nicht regional konzentriert, sondern weit gestreut, zum Beispiel in Brasilien, Südafrika, Russland oder der Türkei. In diesen Ländern wird es zwar weiterhin grosse Probleme geben, aber jetzt haben wir andere Wechselkursverhältnisse. Damals hingen viele dieser Länder am Dollar, das ist nun nicht mehr der Fall.

Viele Beobachter führen die aktuellen Turbulenzen auch auf den starken Dollar zurück. Was erwarten Sie bei einer allfälligen Zinswende in den USA?

Ich glaube nicht, dass der Dollar noch viel stärker wird, wenn die Fed ihre Zinsen erhöht. Das ist bereits eingepreist. Bei einer Zinswende werden die Kapitalabflüsse aus den Schwellenländern zunehmen, aber auf den Dollarkurs wird es keinen grossen Einfluss haben.

Wie sollten sich Anleger im aktuellen Umfeld verhalten?

Auf keinen Fall in Panik verfallen und alles verkaufen. Jetzt muss man kühlen Kopf bewahren und sich gut diversifizieren. Ich würde nicht in die Emerging Markets gehen und nicht zu stark auf Aktien setzen. Aber innerhalb der Aktien würde ich auf die USA und Europa inklusive der Schweiz setzen, weil es dort sehr solide Werte gibt. Wir müssen jetzt in Solidität investieren.

Dr. Martin W. Hüfner (*1942) ist seit 2009 Chefökonom von Assenagon Asset Management. Zuvor war er unter anderem bei der Aquila-Gruppe, der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank und der Deutschen Bank tätig. Zudem leitete er fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefökonomen der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Martin Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem "Europa – Die Macht von Morgen" (2006), "Comeback für Deutschland" (2007), "Achtung: Geld in Gefahr" (2008), "Rettet den Euro!" (2011) und "40 Geld-Fallen, die Sie besser vermeiden – Warum alles falsch ist, was wir über Wirtschaft wissen" (2014).