Cassis wurde mit 125 Stimmen gewählt. Die Bundesratswahl lief ohne Störmanöver ab. Alle Fraktionen hatten angekündigt, das von der FDP beschlossene Dreierticket zu respektieren. Auf diesem galt der 56-jährige Tessiner Nationalrat und FDP-Fraktionschef Cassis als Favorit.

Als stärkster Konkurrent erwies sich der 39-jährige Genfer Staatsrat Pierre Maudet. Er hatte im ersten Wahlgang 62, im zweiten 90 Stimmen erhalten. Diese dürften vorwiegend von Mitte-Links gekommen sein. Vom absoluten Mehr von 123 Stimmen war Maudet aber weit entfernt.

Auch die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret konnte nicht mithalten. Im ersten Wahlgang kam sie zwar noch auf 55 Stimmen. Unterstützt worden war Moret von den Grünen, auch viele Frauen dürften sie gewählt haben. Im zweiten Wahlgang war sie mit 28 Stimmen weit abgeschlagen.

REVOLUTIONÄRE WORTE

Unmittelbar nach dem zweiten Wahlgang erklärte Cassis vor der Vereinigten Bundesversammlung, dass er die Wahl annehme. Anschliessend wurde er vereidigt. Er sehe im Resultat der Wahl den Willen, den Zusammenhalt des Landes zu stärken. "Ich stelle mich als Schmied in Ihren Dienst und will unser Land noch stärker zusammenschmieden", sagte Cassis.

Cassis zollte auch jenen Respekt, die ihm ihre Stimme nicht gegeben hatten. Respekt für die andere Meinung sei ihm als Freisinniger sehr wichtig, sagte Cassis. Was Freiheit sei, lasse sich nicht besser ausdrücken, als es Rosa Luxemburg getan habe: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden."

DEN TESSINER GEWÄHLT

Die Bundesversammlung benötigte nur etwas mehr als eine Stunde für die Wahl. Diese lief so glatt ab, wie es seit Burkhalters Rücktrittsankündigung Mitte Juni erwartet werden durfte. Schon damals herrschte weitgehende Einigkeit darüber, dass nun ein Tessiner in die Regierung gewählt werden müsse.

Der Kanton wartete seit dem Rücktritt von Flavio Cotti 1999 auf eine Vertretung im Bundesrat. Mit dem FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis stand vom ersten Tag an ein williger Kandidat zur Verfügung, dem viele auch das richtige Profil und das nötige Format attestierten.

Auch Laura Sadis und Staatsrat Christian Vitta wären ins Rennen gestiegen. Doch die Tessiner Kantonalpartei setzte alles auf die Karte Cassis. Konkurrenz bekam der Favorit der ersten Stunde jedoch aus der Westschweiz: Die FDP-Fraktion nominierte auch Isabelle Moret und den Pierre Maudet.

Nun hat sich die Bundesversammlung gegen die Frau, gegen den politischen Senkrechtstarter mit Regierungserfahrung und für das Tessin entschieden. Die Herkunft war von Anfang an Cassis' stärkster Trumpf gewesen.

Als Fraktionschef und Präsident der wichtigen Gesundheitskommission gilt er zwar als politisches Schwergewicht im Bundeshaus. Doch sein Leistungsausweis war nicht unumstritten: So wurde Cassis etwa für die Art kritisiert, wie er als Kommissionspräsident die Reform der Altersvorsorge begleitet hatte. Er habe seine Rollen als Fraktions- und als Kommissionspräsident vermischt, hiess es.

Cassis' Engagement als Präsident eines Krankenkassen-Verbands weckte die Befürchtung, dass er sich als Bundesrat in Interessenkonflikte verstricken könnte. Auch die fehlende Regierungserfahrung des Mediziners wurde ins Feld geführt. Auf Kritik stiess zudem, dass Cassis noch vor der Wahl auf die doppelte Staatsbürgerschaft verzichtete und seinen italienischen Pass zurückgab. Der Schritt wurde als Zugeständnis an die SVP gewertet.

NICHTS HANDFESTES

Doch letztlich sprach nichts Handfestes gegen Cassis. Als sich die SVP vor einer Woche ausdrücklich hinter den Tessiner stellte, war bereits von einer Vorentscheidung die Rede gewesen. Die demonstrative Parteinahme der SVP löste bei Mitte-Links zwar einen gewissen Abwehrreflex aus, was Maudets gutes Abschneiden im ersten Wahlgang erklären dürfte. Um die Reihen gegen Cassis zu schliessen, reichte es aber nicht.

Dieser zieht nun als achter Vertreter seines Kantons in den Bundesrat ein. Ob Cassis Didier Burkhalter als Aussenminister beerbt, ist offen. Die Sitzung, in der die Departemente verteilt werden, findet in den Tagen nach der Wahl des neuen Mitglieds statt. Das Gremium kommt am Freitag zusammen. Ob die Departemente schon in dieser Sitzung verteilt werden, entscheidet Bundespräsidentin Doris Leuthard.

(AWP)