Besitzer eines selbst genutzten Einfamilienhauses oder Stockwerkeigentums müssen in der Schweiz den sogenannten Eigenmietwert als Einkommen versteuern. Es handelt sich dabei um eine fiktive Einnahme, welche zum effektiven Einkommen hinzugerechnet wird. Es ist quasi die Miete, welche man generieren könnte, wenn man das Eigentum vermietet anstatt selbst benutzt. Auch für Zweit- und Ferienwohnungen fällt diese Steuer an. Gleichzeitig dürfen Unterhaltskosten und Schuldzinsen von steuerbaren Einkommen abgezogen werden.

Nachdem eine Abschaffung des Eigenmietwerts auf politischer Ebene mehrmals gescheitert ist, versucht nun eine Ständeratskommission einen neuen Anlauf. Prof. Markus Schmidiger, der das CC Immobilienmanagement der Hochschule Luzern leitet, schätzt die Lage im cash-Interview ein.

cash: Herr Schmidiger, Schweizerinnen und Schweizer sind hoch verschuldet. Ist das auf die Eigenmietwertbesteuerung, beziehungsweise die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen zurückzuführen?

Markus Schmidiger: Das ist natürlich eine naheliegende Vermutung. Die Schweizer haben private Schulden von etwa 800 Milliarden Franken, das sind 124 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und 93 Prozent davon sind Hypothekarschulden. Wir haben keine Kultur beziehungsweise Vorschriften, Hypotheken unter 65 Prozent abzahlen zu müssen. Und mit der jetzigen Besteuerung des Eigenmietwerts und der gleichzeitigen Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen bestehen auch keine Anreize zur Amortisation. Ob dies alleine zur hohen Verschuldung in der Schweiz führt, ist unklar. Aber es ist sicherlich ein wichtiges Element.

Also setzt die Eigenmietwertbesteuerung falsche Anreize?

Selbstverständlich. Aber nicht die Eigenmietwertbesteuerung alleine, sondern in Kombination mit dem Schuldzinsabzug. Das kreiert natürlich den steuerlichen Anreiz zu einer möglichst hohen Verschuldung.

Was wäre Ihrer Meinung nach die beste Lösung bezüglich Eigenmietwertbesteuerung?

Langfristig macht eine Abschaffung auf jeden Fall Sinn. Gleichzeitig müsste aber auch die steuerliche Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen und der Unterhaltskosten gestrichen werden. Wenn dem Hauseigentümer der Eigenmietwert nicht mehr aufgerechnet wird, sollten auf der anderen Seite auch die Schuldzinsen nicht mehr abzugsfähig sein.

Ist die Schweiz das einzige Land, welches die Besteuerung des Eigenmietwerts kennt?

Nein. Deutschland schaffte die Eigenmietwertbesteuerung 1986 ab, Österreich 1972 und Frankreich bereits 1965. Hingegen kennen Belgien, Italien, Niederlande, Dänemark, Spanien, Luxemburg und Norwegen ähnliche Formen der Besteuerung. Und die meisten dieser Länder lassen, wie die Schweiz, gleichzeitig auch den steuerlichen Abzug der Schuldzinsen zu.

Und existiert ein Zusammenhang zwischen Verschuldung und Eigenmietwertbesteuerung?

Betrachtet man die Verschuldung in Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes, dann ist die Schweiz nach Australien die Nummer zwei in Sachen privater Verschuldung. Dann folgen Dänemark, Niederlande und Norwegen. Diese drei Länder sind ebenfalls über 90 Prozent verschuldet und kennen sowohl die Eigenmietwertbesteuerung, als auch die steuerliche Abzugsfähigkeit der Hypothekarzinsen. Auf der anderen Seite haben Deutschland, Frankreich und Österreich, welche wie erwähnt die Eigenmietwertbesteuerung vor langer Zeit abgeschafft haben, eine relativ tiefe private Verschuldung bei etwa 50 bis 60 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung.

Was schliessen Sie daraus?

Das könnte zumindest einen Hinweis darauf geben, dass sich Konsumenten tatsächlich durch die Eigenmietwertbesteuerung lenken lassen. Oder genauer gesagt, wegen der Möglichkeit des steuerlichen Schuldzinsabzuges Hypotheken weniger häufig abbezahlen. Es handelt sich dabei jedoch nur um eine grobe Betrachtung, eine fundierte Studie dazu ist mir nicht bekannt.

Also wäre eine Abschaffung gut für die Stabilität des Finanzmarktes?

Es existieren zumindest starke Indizien, dass es so ist. Sowohl eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe als auch der aus der Arbeitsgruppe Brunetti hervorgegangene 'Expertenbeirat Zukunft Finanzplatz' haben letztes Jahr entsprechende Empfehlungen abgegeben.

Im Ständerat ist aktuell eine Abschaffung des Eigenmietwerts ein Thema. Kommt das Anliegen dieses Mal durch?

Es könnte derzeit ein politisch günstiger Moment für einen Systemwechsel sein. Denn in der jetzigen Situation profitieren Hauseigentümer von einem Wechsel. Zwar würde dann neben dem Eigenmietwert auch der Schuldzinsabzug wegfallen, letzterer ist aber derzeit so tief, dass er ohnehin nicht gross ins Gewicht fällt.

Können Sie das genauer erläutern?

Die tiefen Zinsen begrenzen die steuerliche Abzugsmöglichkeit. Besitzt jemand ein Haus mit einem Wert von einer Million Franken, zahlt er heute noch 10'000 bis 15’000 Franken Schuldzinsen im Jahr. Nicht mehr 50‘000 oder 60‘000 Franken wie früher.

Ein Ende der Eigenmietwertbesteuerung wäre schlecht für die Banken, da sie dadurch weniger Hypotheken vergeben könnten.

Aus Bankensicht ist es natürlich attraktiv, möglichst viele Hypotheken vergeben zu können. Sie ziehen durch die Eigenmietwertbesteuerung eigentlich einen doppelten Nutzen: Es werden mehr Hypothekengeschäfte abgeschlossen, da die Schulden nicht abbezahlt werden. Und wenn die Leute die Hypothek nicht zurückzahlen, haben sie gleichzeitig mehr Geld zur freien Verfügung, dass sie dann wiederum bei der Bank anlegen können.

Also machen sich Banken im Parlament stark, um die Abschaffung zu verhindern?

Natürlich sind die Banken an einer Aufrechterhaltung des jetzigen Systems interessiert. Das Anliegen hat aber nicht nur beim Parlament einen schweren Stand, sondern auch beim Volk. Entsprechende  Abstimmungen, wie etwa 'Sicheres Wohnen im Alter' im Jahr 2012, sind nie durchgekommen.

Wieso hat die Abschaffung der Besteuerung des Eigenmietwerts, trotz zahlreicher Initiativen und parlamentarischer Vorstösse, bisher noch nie funktioniert?

Solche Themen haben es extrem schwierig. Die Wohneigentumsförderung und damit zusammenhängend auch die steuerliche Entlastung von Wohneigentümern scheint dem Stimmvolk wichtig zu sein. Wahrscheinlich gibt es neben den aktuellen Immobilienbesitzern genügend Leute in der Schweiz, die davon träumen, irgendwann auch selber Wohneigentum zu besitzen. Deshalb möchten sie die steuerliche Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen beibehalten.

Und wie sieht es im Parlament aus?

Dort wiederum geht es um die Bedienung der eigenen Klientel. Ein möglichst hoher Wohneigentumsanteil ist eine heilige Kuh. Interessanterweise nicht nur im Parlament, sondern auch beim Volk.

*Prof. Dr. Markus Schmidiger leitet das CC Immobilienmanagement der Hochschule Luzern. Er lehrt, forscht und berät rund um Fragen zu Immobilieninvestments, Immobilienentwicklung und Immobiliennutzung. Er war selber lange in der Strategie- und Organisationsberatung tätig, hat Immobilienportfolien im Umfang von über einer Milliarde Franken geleitet sowie die Maklerkette Engel & Völkers in der Schweiz aufgebaut, der er heute noch als Verwaltungsratspräsident vorsteht. Daneben ist er in diversen Verwaltungsräten und Investmentcommittees tätig.