Die EU-Aussenminister könnten nach Angaben eines EU-Vertreters nach ihrem EU-Indo-Pazifik-Treffen in Paris am Dienstagnachmittag über Sanktionen gegen Russland entscheiden. Die EU-Botschafter berieten am Morgen über ein weiter reichendes Paket als es noch am Montag in Betracht gezogen worden sei. In der Nacht waren russische Soldaten in die von Moskau anerkannten Republiken Luhansk und Donezk einmarschiert. In den Aussenbezirken der Stadt Donezk rollten am frühen Dienstagmorgen Militärfahrzeuge durch die Strassen. Darunter waren auch mehrere nicht gekennzeichnete Panzer, wie ein Reuters-Mitarbeiter berichtete.
Schweiz wartet zu
Die Schweiz ergreift vorerst keine Sanktionen gegen Russland. Mit grosser Besorgnis beobachtet sie aber die Gefahr einer allfälligen militärischen Auseinandersetzung, wie Staatssekretärin Livia Leu am Dienstag vor den Medien sagte.
Durch die Truppenverlegung in die beiden ukrainischen Landesteile habe Russland die Integrität und Souveränität dieses Landes verletzt. Die Schweiz anerkenne die beiden selbsternannten Volksrepubliken nicht, sagte die Chefdiplomatin. Diese Gebiete gehörten weiterhin zur Ukraine. Im übrigen verletzten die Schritte Russlands das Minsker Abkommen.
Die Schweiz werde immer den Vorrang der völkerrechtlichen Prinzipien betonen. Seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts vor acht Jahren setze sie sich für eine friedliche Lösung ein. Sie beteilige sich auch an der Sonderbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) im ukrainischen Grenzgebiet. Die Schweizer Beobachter seien weiter vor Ort. Die guten Dienste der Schweiz stünden allen interessierten Kreisen offen.
Der Bundesrat schliesse sich den Sanktionen von EU und USA nicht an. Sobald die EU ihre neuen Sanktionen ankündigt, werde sie die Landesregierung unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, rechtlicher und humanitärer Gesichtspunkte analysieren. Eine Diskussion sei für die Bundesratssitzung vom Mittwoch terminiert, sagte Leu.
Die Staatssekretärin führte weiter aus, die Schweiz ergreife zwar keine Sanktionen. Gemäss einer Regelung von 2014 sind gemäss Leu aber Massnahmen in Kraft, die verhindern, dass internationale Sanktionen mit dem Umweg über die Schweiz umgangen werden. Dazu sind bereits einige Geschäftsbeziehungen eingefroren worden, etwa solche des Gründers der russischen Söldnerorganisation Wagner.
Gefechte zu hören
Am Dienstag waren an der sogenannten Kontaktlinie, die die Gebiete der pro-russischen Separatisten von den ukrainischen Regierungstruppen trennt wieder Gefechte zu hören, wie die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) berichteten. Eine Errichtung russischer Militärstützpunkte in der Ost-Ukraine ist nach Angaben des Aussenministeriums in Moskau derzeit nicht in der Diskussion. Russland könnte aber diese Schritte unternehmen, sollten sie notwendig sein, meldete die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das Ministerium.
Putin hatte die Entsendung von "Friedenstruppen" in die Separatistengebiete im Osten der Ukraine angekündigt, nachdem er die Regionen Donezk und Luhansk am Montagabend als unabhängig anerkannt hatte. Der Westen verurteilte das Vorgehen als Verletzung des Völkerrechts und der territorialen Integrität der Ukraine. Bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats bezeichnete die US-Gesandte Linda Thomas-Greenfield die Behauptung Putins, es handele sich um den Einsatz von Friedenstruppen, als "Unsinn".
US-Präsident Joe Biden setzte erste Sanktionen in Kraft und kündigte weitere Massnahmen in Abstimmung mit den Verbündeten an. Biden unterzeichnete ein Dekret, das Geschäfte in oder mit den beiden Separatisten-Regionen verbietet. Zudem bereitet die US-Regierung Insidern zufolge Massnahmen vor, die auf den Bankensektor zielen. Vorgesehen sei, US-Finanzinstituten die Abwicklung von Transaktionen für grosse russische Banken zu verbieten. Die britische Aussenministerin Liz Truss kündigte auf Twitter für Dienstag Sanktionen Grossbritanniens gegen Russland an. Die EU-Staaten verständigten sich dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte zufolge auf ein begrenztes Sanktionspaket. "Ziel sind jene, die für diese Entscheidung verantwortlich sind", sagte Rutte im niederländischen Fernsehen.
Putin: Ukraine gehört historisch zu Russland
In einer knapp einstündigen Rede hatte Putin am Montagabend der Nato schwere Vorwürfe gemacht. Das Militärbündnis habe Russland versprochen, nicht zu expandieren. Geschehen sei das Gegenteil. Ein Beitritt der Ukraine zur Nato sei eine direkte Bedrohung für Russlands Sicherheit. Es sei klar, dass eine weitere Expansion der Nato nur eine Frage der Zeit sei. Das Risiko eines plötzlichen Angriffs werde in einem solchen Fall deutlich steigen. Zudem gehöre die Ukraine historisch zu Russland.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, sein Land sei weiter dem Weg der Diplomatie verpflichtet, und forderte zugleich Unterstützung ein. "Es ist sehr wichtig zu sehen, wer unser wirklicher Freund und Partner ist und wer der Russischen Föderation weiterhin mit Worten Angst einjagen wird."
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warf Putin vor, mit der Anerkennung einen Vorwand für die Invasion der Ukraine geschaffen zu haben. Nach Ansicht der USA stellt die Entsendung russischer Truppen in die abtrünnigen Regionen der Ost-Ukraine einem Insider zufolge noch keine Invasion dar, die ein umfassenderes Sanktionspaket auslösen würde. "Dies ist keine weitere Invasion, da es sich um Gebiete handelt, die sie bereits besetzt haben", sagte ein US-Regierungsmitarbeiter in einer Telefonkonferenz mit Reportern. Russland habe bereits seit acht Jahren Truppen im Donbass und "mache das jetzt nur auf eine offensichtlichere Art und Weise. Aber wir machen uns keine Illusionen über das, was als Nächstes kommen wird."
Russland hat nach westlichen Angaben weit über 100.000 Soldaten an der Grenzen zur Ost-Ukraine zusammengezogen. Weitere 30.000 Soldaten halten sich nach Nato-Angaben in Belarus nördlich der Ukraine auf. Zudem ist das russische Militär auf der 2014 von der Ukraine annektierten Halbinsel Krim sowie im Schwarzen Meer südlich der Ukraine präsent. Westliche Befürchtungen, Russland plane eine Invasion, hat die Regierung in Moskau bislang immer zurückgewiesen. Stattdessen dringt Russland auf Sicherheitsgarantien.
(Reuters/AWP)