Zwar wollte die Bundesregierung am Mittwoch Medienberichte über ein erzieltes Abkommen noch nicht bestätigen. Eine Regierungssprecherin sagte aber, man sei zuversichtlich, bald Näheres bekannt geben zu können. Ähnlich äusserte sich ein Sprecher des Aussenministeriums. Die fast fertiggestellte Pipeline soll Erdgas von Russland über die Ostsee direkt nach Deutschland bringen - unter Umgehung des traditionellen Transitlandes Ukraine. Bei der Einigung dürfte es daher vor allem auch um einen dauerhaften Schutz und die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine gehen.

Wie unter anderem die Finanznachrichtenagentur Bloomberg und das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Quellen in Berlin und Washington berichten, sieht eine Einigung vor, dass Deutschland und die USA in den Ausbau erneuerbarer Energien in der Ukraine investieren wollten. Beide Länder wollten ausserdem sicherstellen, dass die Ukraine nach wie vor Transitgebühren für aus Russland geliefertes Gas bekommt.

US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten am vergangenen Donnerstag in Washington einen Neustart in den deutsch-amerikanischen Beziehungen beschworen, nach schwierigen Jahren unter Bidens Vorgänger Donald Trump.

Biden sagte, er habe Merkel gegenüber nochmals seine Bedenken bezüglich der Pipeline ausgedrückt. Russland dürfe diese nicht nutzen, um "die Ukraine auf irgendeine Weise zu erpressen". Merkel sagte, Nord Stream 2 sei ein zusätzliches Projekt und keine Alternative zum Gastransit durch die Ukraine: "Unser Verständnis war und ist und bleibt, dass die Ukraine Transitland für Erdgas bleibt." Merkel machte deutlich, man werde "auch aktiv handeln", falls Russland das Recht der Ukraine auf Gastransit nicht einlösen werde.

In den USA gibt es seit Jahren parteiübergreifend Widerstand gegen Nord Stream 2. Die absehbare Einigung dürfte im Kongress daher auf starken Widerstand stossen. Dort lehnen viele Republikaner das Projekt ab und fordern Sanktionen, genauso wie einige von Bidens Demokraten. Kritiker sehen in der Pipeline ein geopolitisches Projekt Russlands, das die Energiesicherheit Europas gefährde. Sie bemängeln ausserdem, dass die Pipeline der Ukraine schaden könnte. Kiew ist auf Milliardeneinnahmen aus dem russischen Gastransit angewiesen. Befürworter der Pipeline wiederum werfen den USA vor, nur ihr eigenes, teureres Gas in Europa absetzen zu wollen.

Entgegenkommen dank Neustart in den Beziehungen

Biden hatte seit seinem Amtsantritt im Zuge eines Neustarts in den Beziehungen zu Deutschland Entgegenkommen bei Nord Stream 2 gezeigt. Im Mai verzichtete seine Regierung auf Sanktionen gegen die Schweizer Betreibergesellschaft und deren deutschen Geschäftsführer - ausdrücklich aus Rücksicht auch auf die Beziehungen zu Deutschland, wie es in einem Bericht des US-Aussenministeriums hiess.

Deutschland und die USA nahmen daraufhin Gespräch über das weitere Vorgehen auf. Im Kern sollte es darum gehen, wie der Ukraine als bisherigem Transitland langfristig Einnahmen gesichert werden können. Der entsprechende Vertrag über den Gastransfer zwischen Russland und der Ukraine ist bis 2024 befristet.

Aussenminister Heiko Maas (SPD) hatte im vergangenen Monat nach einem Treffen mit seinem US-Amtskollegen US-Aussenminister Antony Blinken angekündigt, man wolle "sehr zügig" zu Ergebnissen kommen, die von den USA mitgetragen werden könnten. Mitte August legt das US-Aussenministerium dem Kongress einen neuen Bericht zu Nord Stream 2 und möglichen neuen Strafmassnahmen gegen das Projekt vor. Die inzwischen fast fertiggestellte Pipeline soll pro Jahr rund 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland befördern.

Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion Alexander Graf Lambsdorff sagte am Mittwoch zu Medienberichten über eine bevorstehende Einigung zwischen Deutschland und den USA zu Nord Stream 2, dies wirke wie ein "Heftpflaster bei einem Beinbruch". Nach wie vor bestehe die Gefahr, dass die Pipeline zur aussenpolitischen Waffe in der Hand Moskaus werde. "Die Bundesregierung hat die diplomatische Einbettung des Projekts bei unseren Partnern in Europa und Amerika jahrelang fahrlässig vernachlässigt. Deshalb muss Deutschland jetzt wie die USA das direkte Gespräch auch mit Polen und der Ukraine suchen", forderte er.

Bei den Grünen erklärten der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Oliver Krischer und der Sprecher für Osteuropapolitik, Manuel Sarrazin: "Die Vereinbarung zu Nord Stream 2 ist ein herber Rückschlag für den Klimaschutz." Die Bundesregierung habe damit vor allem die Laufzeitverlängerung fossiler Infrastruktur besiegelt, erklärten sie. Die Regierung predige Klimaschutz, praktiziere aber das Gegenteil, hiess es weiter.

(AWP)