Als das Kanzleramt den lange geplanten EU-China-Gipfel am 14. September in Leipzig absagte, nannte es offiziell als Grund die "pandemische Gesamtlage" in der Corona-Krise. Aber dies habe auch damit zu tun, dass es nicht genügend Fortschritte am angestrebten Investitionsschutzabkommen mit Peking gegeben habe, hiess es in Regierungskreisen am Donnerstag. Deshalb pochte Kanzlerin Angela Merkel nun in einer Videoschalte mit Chinas Ministerpräsident Li Keqiang einem Regierungssprecher zufolge auf Fortschritte bei diesem Vertrag.

"Sie will noch einmal Bewegung in die Verhandlungen der EU bringen", sagte der China-Experte der FU Berlin, Eberhard Sandschneider, zu Reuters. "Die Kanzlerin versucht ernsthaft, den Gipfel für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bis Jahresende noch zu retten", sagte auch Mikko Huotari, Direktor des China-Instituts Mercis, der aber nicht an einen Erfolg glaubt.

Die enge Abstimmung sei der Versuch von Bundesregierung und Chinas Führung, gerade nach der Corona-Krise die Rückkehr zu einer "schwierigen Normalität" zu finden, heisst es in Regierungskreisen. Die Kanzlerin steht dabei allerdings unter doppelten Druck: Einerseits drängt die Wirtschaft darauf, die Beziehungen mit Peking wieder zu normalisieren. Andererseits versucht ein sich im Wahlkampf befindlicher US-Präsident, auch die Europäer in eine Frontstellung gegen China zu zwingen.

Hoffnung auf Wirtschaftsaufschwung

So mehren sich in China die Anzeichen auf einen robusten Wiederaufschwung. Das nährt die Hoffnung der angeschlagenen deutschen Konzerne, den Einbruch in der Corona-Krise zumindest mit dem China-Geschäft abfedern zu können. Im Mai kletterte der Automarkt im Reich der Mitte verglichen mit dem Vorjahresmonat um 14,5 Prozent auf knapp 2,2 Millionen Fahrzeuge. Auch für die deutschen Maschinenbauer in China normalisiere sich die Lage, meldete der Branchenverband VDMA. Mittlerweile gingen 30 Prozent der befragten 140 Unternehmen davon aus, dass sie ihr ursprüngliches Wachstumsziel für 2020 doch erreichen können. Mittlerweile kehrten hunderte deutsche Manager wieder nach China zurück, in dem sich die offiziellen Corona-Neuinfektionen auf sehr niedrigem Niveau bewegen. China selbst versucht Normalität zu demonstrieren, weshalb Merkel und Li bei ihrer Schalte bei zwei - allerdings kleineren - neuen Projekten von VW und Siemens virtuell Pate standen.

Zum anderen befindet sich die Bundesregierung aber auch in einem Balanceakt zwischen den USA und China. "Die Videoschalte zeigt, dass sich an der Grundausrichtung der Bundesregierung nichts geändert hat. Merkel geht eben nicht auf einen Konfrontationskurs wie die US-Regierung", betonte Merics-Direktor Huotari. Die Regierung wolle die über lange Zeit aufgebauten Kontakte nicht abbrechen. Allerdings verweisen sowohl Sandschneider als auch Huotari darauf, dass dies nicht einfach sei - gerade nach dem umstrittenen Vorgehen der chinesischen Führung in der früheren britischen Kronkolonie Hongkong. "Die Regierung muss in Deutschland in einer zunehmend chinakritischen Öffentlichkeit agieren", sagt Sandschneider. Deshalb sprach Merkel mit Li auch die Menschenrechtslage an.

"China hat die 'systemische Rivalität' ausgerufen. Diese müssen wir annehmen. Das bedeutet Kooperation, wo es nötig ist, aber auch Zurückweisung chinesischer Einmischung in Europa", fordert etwa der Grünen-Aussenpolitiker Omid Nouripour gegenüber Reuters. Zuletzt hatte die EU-Kommission staatlichen Medien in China vorgeworfen, Äusserungen des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell völlig verfälscht verbreitet zu haben. Sogar in den Regierungsfraktionen stösst die Gradwanderung der Kanzlerin auf Skepsis: "Merkel hat sichtliche Probleme mit der neuen Situation, in der China gleichzeitig systemischer Rivale, wirtschaftlicher Konkurrent und politischer multilateraler Partner ist", meint SPD-Aussenpolitiker Nils Schmid. Und die deutlich kritischere Tonlage gegenüber Peking macht auch der aussenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, deutlich: "Derzeit versucht China, sein eigenes antidemokratisches und antipluralistisches Narrativ durchzusetzen", sagt der CDU-Politiker.

Dazu kommt der wachsende US-Druck durch einen Präsidenten, der sich im Wahlkampf befindet und China zum Gegner erkoren hat. "Das von der US-Regierung betriebene Decoupeling, also die Trennung der Wertschöpfungsketten zu China, ist ein echtes Problem gerade für die deutsche Wirtschaft, die auf beiden Märkten stark engagiert ist", warnt Sandschneider. "Aus geopolitischen Gründen war es eine kluge Entscheidung, den EU-China-Gipfel im September zu verschieben", meint deshalb Huotari mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl im November. Das hätte Trump nur noch mehr gereizt. "Zumal offensichtlich ist, dass der Aufstieg Chinas durch die Corona-Krise noch beschleunigt wird." Gerade deshalb müssten Deutschland und die EU aber auch ihre eigenen Dialogfäden nach Peking offen halten.

(Reuters)