Aus dem operativen Geschäft der Fondsgesellschaft Hermitage Capital Management hat er sich zurückgezogen. Nein, er sei heute kein professioneller Vermögensverwalter mehr, sondern ein "Vollzeit-Gerechtigkeits-Aktivist". Die Rede ist von William "Bill" Browder, mit dem sich cash.ch am WEF in Davos zum Gespräch traf. Browder redet ruhig, fixiert bei seinen Formulierungen sein Gegenüber ohne Unterlass und ist bei seinen Urteilen und Einschätzungen kompromisslos.

Der britisch-amerikanische Doppelbürger war in den 1990er Jahren und Anfang 2000 im postsowjetischen Chaos und Wildwuchs-Kapitalismus einer der mächtigsten ausländischen Investoren in Russland. Die Aktien in seinem Fonds, vorab Staatsbetriebe wie Gazprom, hatten einmal einen Wert von 4,5 Milliarden Dollar. 1997 hatte sein Hermitage Fund mit 238 Prozent die weltbeste Performance eines Fonds. Browder verdiente Geld wie Heu. Heute bekämpft Browder Russland und insbesondere Wladimir Putin scharf. "Red Notice - Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde" lautet der Titel eines seiner Bücher. Auch die Schweiz hat er im Visier. Doch davon später.

Browder, der in London lebt, verfolgt das Geschehen an den Märkten natürlich noch immer. Schliesslich muss er sich um sein nicht unansehnliches Privatvermögen kümmern. Seine aktuellen Einschätzungen geben nicht Anlass zu übertriebenem Optimismus. Denn Browder sieht überhaupt noch keine Bodenbildung an den Börsen. 

"Wir stehen noch immer am Anfang des Zinserhöhungszyklus und der Straffung der Geldpolitik. Investoren werden noch viel Schmerzen erleiden müssen", prophezeit Browder. Es habe eine "Bubble-Mentalität" an den Finanzmärkten geherrscht mit viel zu hohen Bewertungen. "Bis wir wieder Niveaus erreichen, auf denen man wieder zukaufen kann, wird noch einige Zeit verstreichen", so Browder weiter. Dieses Niveau könnte erreicht sein, wenn die Realzinsen ins Positive drehen, also wenn die Zinsen abzüglich der zu erwartenden Inflationsrate wieder über null liegen. Das könnte laut Browder am Ende des Straffungsprozesses der US-Notenbank eintreten.

Persönlich hat Browder deshalb noch keine Aktien zugekauft. "Ich halte mein Pulver trocken", sagt er im Gespräch. Er werde erst wieder aktiv werden als Aktieninvestor, wenn die Bewertungen ein akzeptables Niveau erreicht hätten. Dies auch mit Blick auf die US-Wirtschaft, die im ersten Quartal überraschend 1,4 Prozent geschrumpft war. Daher kommt Browder zur Einschätzung: "Ich glaube, die USA befinden sich bereits in einer Rezession". Denn wirtschaftlich würden sich die Dingen in den Vereinigten Staaten in nächster Zeit kaum zum Besseren wenden.

Browder bezeichnet sich selber als Value-Investor und bevorzugt dabei nicht-zyklische Unternehmen mit konstantem Cash-Flow, dazu Firmen mit Wettbewerbsvorteilen und mit einer Positionierung, die es erlaube, dass technologische Entwicklungen ihr Kerngeschäft nicht zerstören können. Browder ist nur in Länder investiert, welche die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit einhalten. Also keine Investments in China, keine in Russland und keine in Schwellenländer generell.

«Die Schweiz kommt mir vor wie eine Bananenrepublik»

Das war nach dem Zerfall der Sowjetunion ganz anders. Browder lobte sogar Wladimir Putin öffentlich. Als der Investor aber begann, die Korruption in Russland zu kritisieren, bekam er die Staatsgewalt zu spüren und wurde 2005 an der Einreise gehindert. Vier Jahre später wurde sein russischer Steueranwalt Sergei Magnitsky ins Gefängnis gesteckt. Er starb nach Misshandlungen und wegen fehlender medizinischer Versorgung ein Jahr später. Sein Tod prägte Browder nachhaltig.

Seither führt Browder einen Feldzug, oder besser: einen Rachefeldzug gegen Putin. Denn laut Browder hatte Magnitsky einen Steuerbetrug von russischen Beamten in der Höhe von rund 230 Millionen Dollar aufgedeckt. Browder will das Geld wiederfinden und behauptet, ein Teil davon befinde sich auf Schweizer Bankkonten. 

Er lobbyiert hartnäckig bei Medien und Politik für sein Anliegen. Und sein Einfluss ist nicht gering. An einem Hearing Anfang Mai der so genannten Helsinki Commission (eine unabhängige Kommission der US-Regierung), an dem auch Browder aussagte, wurden schwere Vorwürfe gegen die Schweiz erhoben. So habe sich die Schweizer Justiz von Russland korrumpieren lassen.  Der Bundesrat weist die Vorwürfe zurück.

Was Browder besonders sauer macht: Die Bundesanwaltschaft stellte das Verfahren wegen der russischen Gelder letzten Sommer ein. "Das Geld soll also wieder an die Kriminellen zurück. Die Schweiz kommt mir vor wie eine Bananenrepublik", sagt Browder mit sarkastischem Unterton. Der ehemalige Grossinvestor ist seit dem Helsinki Hearing nicht untätig geblieben. Der Schweizer Botschafter in den USA habe ihm eröffnet, dass er sich eventuell mit Bundesanwalt Stefan Blättler, der seit Anfang Jahr im Amt ist, treffen könne. Browder hat daher letzte Woche einen Antrag für ein Meeting mit Blättler eingereicht. "Ich warte nun auf eine Antwort", sagt Browder - und eilt im Kongresszentrum von Davos zum nächsten Termin.