Die Schweiz habe zudem gar keine Möglichkeit, solche Menschen ausser Landes zu bringen, sagte Keller-Sutter den Zeitungen des "CH Media"-Verlags (Samstagausgabe). "Wir können auch nicht einfach willkürlich 10'000 Menschen auswählen und aus dem Krisengebiet evakuieren."

Erste Priorität für den Bundesrat ist, die eigenen Landsleute zu evakuieren, die Entwicklungshelfer des Bundes und deren Angehörige, insgesamt rund 230 Personen. Bislang war dies jedoch nicht gelungen. Die Schweiz will am Samstag ein Flugzeug in die usbekische Hauptstadt Taschkent schicken, um aus Kabul evakuierte Menschen abzuholen.

Weil die Schweiz kein Nato-Staat und nicht mit eigenen Streitkräften vor Ort sei, sei das Aussendepartement auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen, erklärte die Bundesrätin.

Hilfe in Nachbarstaaten

Die Schweiz will sich der Ministerin zufolge für humanitäre Hilfe vor Ort und in den Nachbarstaaten Afghanistans einsetzen. Die Schweizer Landesregierung vertritt laut Keller-Sutter damit die gleiche Position wie viele EU-Staaten, wie sich diese Woche an einem ausserordentlichen Treffen der EU-Innenminister gezeigt hatte.

Rund 3 Millionen afghanische Flüchtlinge leben laut der Bundesrätin im Iran, 2,5 Millionen in Pakistan, je nach Schätzung 200'000 bis 600'000 in der Türkei. In Afghanistan mit geschätzt über 39 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gibt es demnach über eine halbe Million intern vertriebene Flüchtlinge.

Der Bundesrat hatte am Mittwoch beschlossen, dass die Schweiz vorerst keine afghanischen Kontingentsflüchtlinge aufnimmt. Auch die Vergabe von humanitären Visa sollte vorerst nicht erleichtert werden.

Breiter Familiennachzug "nicht zu bewältigen"

Für Gattiker, Staatssekretär für Migration, wären solche Visa für Angehörige von in der Schweiz lebenden Afghaninnen und Afghanen nicht die richtige Antwort. Bei den Visa-Erleichterungen in der Syrien-Krise sei es darum gegangen, dass eine kleine syrische Gemeinschaft in der Schweiz ihre Verwandten, darunter auch Grosseltern, Tanten und Brüder, in die Schweiz holen konnte.

"Wenn man das heute machen würde, hätten wir zehntausende Angehörige der gewachsenen Community von Afghaninnen und Afghanen in der Schweiz", sagte Gattiker in der "Samstagsrundschau" von Radio SRF. "Das wäre logistisch nicht zu bewältigen."

Gemäss Gattiker wäre dies auch nicht die richtige Antwort, weil viele Angehörige von in der Schweiz lebenden Afghaninnen und Afghanen nicht mehr in Afghanistan seien, sondern in Pakistan oder Iran. "Es ist sinnvoll, besonders gefährdete Menschen zu schützten und nicht einfach Verwandte", sagte Gattiker. Voraussetzung für das humanitäre Visa sei eine Gefährdung.

Angesprochen darauf, dass laut dem Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 100'000 Afghaninnen und Afghanen in Pakistan und Iran auf einen Resettlement-Platz, also einen Platz für Kontingentsflüchtlinge, warteten und das UNHCR andere Staaten aufforderte, mehr Plätze zur Verfügung zu stellen, sagte Gattiker, es sei ein politischer Entscheid, ob die Schweiz künftig mehr als die bisherigen 800 Plätze pro Jahr vorsehe.

Linke Parteikreise und Hilfswerke fordern bereits jetzt eine unbürokratische Aufnahme von bis zu 10'000 gefährdeten Flüchtlingen. Besonders verletzlichen Menschen sei ein schneller Zugang zu humanitären Visa zu ermöglichen, hiess es in einem von rund 38'000 Menschen unterzeichneten Appell.

(AWP)