Die Preissteigerungen dürften "sehr wahrscheinlich" in den kommenden Monaten hoch bleiben, warnte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos am Donnerstag vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europa-Parlaments. Im März erreichte die Inflationsrate im Euroraum mit 7,4 Prozent ein Rekordhoch. Für die am Freitag anstehenden April-Daten erwarten von Reuters befragte Experten einen Anstieg auf 7,5 Prozent.

De Guindos betonte, die EZB werde mit Blick auf den anhaltenden Preisauftrieb die seit Jahren sehr lockere Geldpolitik weiter normalisieren. Zunächst würden Anleihenkäufe eingestellt, danach Zinserhöhungen erwogen. Dies könnte dazu führen, dass die Renditen bei Staatsanleihen anzögen. Doch stehe die EZB bereit, einer "ungerechtfertigten Ausweitung" des Renditeabstands - des sogenannten Spreads - zwischen den Schuldenpapieren der Kernländer der Euro-Zone und der Peripherie entgegenzuwirken. Die EZB habe über die Auswirkungen einer solchen Fragmentierung gesprochen, jedoch keine konkreten Werkzeuge zur Gegenwehr besprochen. "Doch ich kann Ihnen versichern, dass wir zum Handeln bereit sind", fügte der Stellvertreter von EZB-Chefin Christine Lagarde hinzu.

EZB gegen Marktverwerfungen gerüstet

"Die Schwelle, ab der die EZB eine ungerechtfertigte Fragmentation erkennt, liegt hoch", meint Commerzbank-Ökonom Michael Schubert. Dies gelte etwa bei einer rasanten Ausweitung der Spreads, die durch Fundamentaldaten eindeutig nicht zu erklären sei: "Betreibt die EZB dagegen in Zeiten einer geldpolitischen Normalisierung eine Art Feinsteuerung, mit dem sie den Anstieg der Spreads kontrolliert, so erscheint dies aus rechtlicher Sicht bedenklich." Er verweist auf frühere Äusserungen von EZB-Direktorin Isabel Schnabel. Diese hatte erklärt, die Zentralbank beobachte die Entwicklung der Renditen und der Spreads sehr genau und werde bei "schwerwiegenden Marktverwerfungen" eingreifen.

Laut Bundesbankchef Joachim Nagel kann Anfang des dritten Quartals - also im Juli - mit einer ersten Zinsanhebung gerechnet werden, da die Anleihenkäufe der EZB dann vermutlich abgeschlossen seien. De Guindos sagte vor dem Europaparlamentsausschuss mit Blick auf die Inflationserwartungen, viele marktbasierte Barometer zeigten zwar an, dass damit gerechnet werde, dass die EZB mittelfristig ihr Ziel einer Teuerungsrate von 2,0 Prozent erreiche. "Doch die Inflationserwartungen sind in den vergangenen Monaten gestiegen", warnte der Spanier.

Es gelte angesichts erster Anzeichen für Aufwärtsrevisionen dieser Erwartungen jenseits des Inflationsziels sehr aufmerksam zu sein. Experten für die Geldpolitik der EZB gehen aktuell von einem Anstieg der Verbraucherpreise 2022 von 6,0 Prozent aus - auch weil der Ukraine-Krieg die Inflation über steigende Energiekosten anheizt.

Für 2023 rechnen die von der EZB befragten Experten mit einer Inflationsrate von 2,4 Prozent. Für 2024 gehen sie von einer Teuerungsrate von 1,9 Prozent aus. Längerfristig sagen sie der EZB bei der Inflation einen Wert von 2,1 Prozent voraus, womit das Ziel leicht übertroffen würde.

(Reuters)