In Europa steht die erste Zinserhöhung seit 2011 an. Die Europäische Zentralbank EZB wird die wichtigsten Zinssätze im Juli um jeweils 0,25 Prozentpunkte anheben. Für September werden weitere Zinsschritte – grosse Schritte – erwartet. Das ist wahrscheinlich der Anfang vom Ende des rekordtiefen Negativzinsregimes, das die Schweizer Nationalbank im Januar 2015 installiert hat.

Der Kurswechsel wird Auswirkungen auf die ganze Wirtschaft haben. Immobilienbesitzer müssen mehr für die Hypothek zahlen. Die Mieten werden anziehen. Unternehmen müssen mehr Zins auf Fremdkapital berappen, was die Kosten für Investitionen erhöht. Der Franken dürfte stärker werden, Konsumentinnen und Konsumenten müssen mit steigenden Preisen rechnen. Bei gleichbleibenden Löhnen sinkt die Kaufkraft. Der Aktienmarkt verliert an Schub. 

Die SNB könnte sich bereits im September vom rekordtiefen Zinsregime verabschieden. Der von der EZB skizzierte Fahrplan gibt der Nationalbank viel Spielraum, um bereits in diesem Spätsommer an der Zinsschraube zu drehen. "Wir erwarten, dass die SNB ihren Leitzins quartalsweise um jeweils 0,25 Prozent erhöhen wird", schreibt etwa die Raiffeisen in einem Kommentar vom Freitag.

Das Negativzinsregime wurde einst installiert, um der Aufwertung des Frankens entgegenzuwirken. Es war ein Nebenprodukt der Aufgabe des Mindestkurses und sollte verhindern, dass der Euro-Franken-Kurs völlig kollabiert. Eine Rückkehr zur Normalität, das war von Anfang an klar, wird schmerzhaft sein und deutliche Spuren in der Wirtschaft hinterlassen.

Pain-Point 1: Der Franken steigt

Für importierende Unternehmen sind es gute Nachrichten, für exportierende Unternehmen eher weniger gute: Steigende Zinsen machen den Franken attraktiver. Weil die Zinsen im Ausland aber noch stärker und vor allem früher anziehen, bleibt unklar, wie stark der Effekt sein wird. 

Der härtere Franken dürfte aber die Preisinflation etwas in Grenzen halten. Die hohen Importpreise werden gedämpft. Oder im Ökonomen-Jargon: Während der Preis für den Bezug von Vorleistungen aus dem Ausland steigt, nimmt die relative Kaufkraft des Frankens dank Aufwertung zu, sodass unterm Strich nur noch eine moderate, importierte Inflation bleibt.

Besonders relevant ist das im Verhältnis mit der Euro-Zone. Die Europäische Union ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Und in der Union wird die Teuerungsrate, die das deutsche "Handelsblatt" angesichts der Höhe von 8,1 Prozent zurecht als "Gruselinflation" bezeichnet hat, laut EZB-Chefin Christine Lagarde "nicht rasch sinken". Der starke Franken sorgt also dafür, dass ein Teil des Grusels nur bis Konstanz kriecht, aber nicht nach Kreuzlingen.

Pain-Point 2: Fremdkapital wird teurer

In den letzten Jahren erhielten Firmen zu rekordtiefen Zinsen einen Kredit, um das Business auszubauen. Das heisst: Sie konnten praktisch zum Nulltarif investieren. 

Der Maschinenpark war veraltet? Kein Problem, die UBS, Credit Suisse, ZKB oder Raiffesen lieferte das Geld für eine Neuanschaffung und verlangte im Gegenzug nur einen Minizins. Der Gewinn an Produktivität war höher als der Zins – ergo blieb unterm Strich eine schöne Rendite. Und die Abschreibungen auf dem neuen Maschinenpark haben zwar das Bankkonto nicht belastet, dafür aber den Gewinn, und so obendrein auch noch die Steuerlast geschenkt.

Diese Zeiten sind bald vorbei. Wenn die Nationalbank die Zinszügel anzieht, werden die Banken wieder mehr Zins für einen Investitionskredit fordern, was gemäss klassischer Lehrbuch-Ökonomie zu tieferen Investitionen und entsprechend zu einer verringerten Wirtschaftskraft und langfristig zu weniger Produktivität führen wird.

Pain-Point 3: Immobilienfinanzierung wird teurer

Analog zu den Investitionskrediten wird auch die Hypothek teurer. Das bedeutet bei gleichbleibenden Preisen im Markt: Immer weniger Haushalte können sich überhaupt ein Objekt leisten. Das bremst die Nachfrage – und damit auch die Preisentwicklung.

Für bestehende Hypothekarnehmer heisst das auch: Bei der nächsten Erneuerung des Kreditvertrages kommt es zum Schock. Die Bank könnte eine Verlängerung der Hypothek an höhere Zinszahlungen knüpfen. 

Um ein Beispiel zu machen: Wird eine Hypothek über 800’000 Franken neu mit 2,5 statt mit 1,5 Prozent verzinst, ist das unterm Strich eine Erhöhung von 1 Prozentpunkt. Aufs Jahr hochgerechnet sind das 8000 Franken mehr. Das sind mehr als 10 Prozent des Schweizer Brutto-Medianlohns. 

Oder um ein anderes Beispiel zu machen: Wenn die SNB den Zins langsam erhöht und die Hypozinsen um 1 Prozent steigen, ist das für den durchschnittlichen Familienhaushalt durchaus gleichbedeutend mit einer plötzlichen Verdoppelung der Krankenkassenprämien. Mit den 8000 Franken, die wegen der Zinserhöhung aus dem Portemonnaie gezogen werden, könnte eine Familie auch locker die Familienskiferien in einem noblen Hotel in Zermatt finanzieren. 

Pain-Point 4: Mieten steigen

Für den Grossteil der Schweizerinnen und Schweizer noch bedeutender ist aber die Veränderung im Mietmarkt. Die Mieten werden steigen, wenn die Zinsen anziehen. Denn der Referenzzinssatz stützt sich auf den hypothekarischen Durchschnittszinssatz der Banken. Er wird vierteljährlich durch das Bundesamt für Wohnungswesen ermittelt. Der Referenzzinssatz ist massgebend für Mietzinsanpassungen in bestehenden unbefristeten Mietverhältnissen

Der mietrechtliche Referenzzinssatz lag vor dem Negativzinsregime bei 2,0 Prozent, aktuell liegt er bei 1,25 Prozent. Ein Anheben des Zinssatzes ist nur eine Frage der Zeit. Kommt dazu: Vermieter wollen die anziehenden Nebenkosten gerne an ihre Mieter weitergeben, um ihre eigene Rendite stabil zu halten. Sie werden also die höheren Finanz- und Betriebskosten einer Liegenschaft auf die Mieter abwälzen. 

Das dürfte unterm Strich sehr interessant werden, weil gleich mehrere Faktoren aufeinandertreffen. Weil Immobilien immer weniger erschwinglich werden oder finanziell weniger attraktiv sein werden, steigt die Nachfrage im Mietmarkt. Der Mietmarkt ist in gewissen Regionen aber bereits völlig überlaufen. Hier dürften die Mieten nochmals massiv anziehen, aber auch in der Peripherie ist die Zeit des billigen Wohnens wahrscheinlich vorbei.

Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: "Geldpolitik vor Wende: Das sind die vier Pain-Points"