Die Aussenminister Russlands und der Ukraine wollen am Donnerstag im türkischen Antalya erstmals seit Wochen wieder zusammentreffen, teilte die türkische Regierung am Montag mit. Zudem forderte Indien von Russlands Präsidenten Wladimir Putin direkte Gespräche mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj. Auf unterer Ebene starteten im belarussischen Brest erneut russisch-ukrainische Verhandlungen zum Thema Fluchtkorridore für Zivilisten. In Deutschland verschärfte sich die Debatte über einen möglichen Stopp russischer Gaslieferungen und den starken Anstieg der Energiepreise.
Russland kündigte am Montagmorgen eine Feuerpause für mehrere ukrainische Städte an, warf später aber der Ukraine vor, die entsprechenden Bedingungen nicht erfüllt zu haben. Neben der Hauptstadt Kiew seien derartige Passagen für den Abzug von Zivilisten auch für Charkiw, Mariupol und Sumy geplant gewesen, hiess es. Die russische Nachrichtenagentur RIA berichtete, der Fluchtweg für die Kiewer Bevölkerung solle nach Belarus führe, der aus Charkiw nach Russland. Die Korridore für Mariupol und Sumy sollten in andere ukrainische Regionen und nach Russland führen. Die überwältigende Mehrheit der bislang rund 1,7 Millionen Menschen auf der Flucht flieht aber vor den russischen Truppen Richtung westlicher Länder und Belarus steht an der Seite Russlands. In Deutschland wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums bisher 50'294 Flüchtlinge registriert.
Nach ukrainischen Angaben wurden bislang rund 11'000 russische Soldaten getötet sowie 88 russische Flugzeuge und Hubschrauber abgeschossen. Über eigene Verluste wurden keine Angaben gemacht. Reuters kann Angaben Russlands und der Ukraine nicht unabhängig überprüfen.
Erst Kapitulation
Der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, sagte Reuters, die russische Armee werde ihren "militärischen Spezialeinsatz" stoppen, falls die Regierung in Kiew Russlands Bedingungen akzeptiere. Demnach muss die Ukraine in ihrer Verfassung festschreiben, dass sie nicht Bündnissen anderer Staaten beitreten wird. Zudem müsse die Ukraine anerkennen, dass die annektierte ukrainische Halbinsel Krim nun zu Russland gehöre sowie die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Süden des Landes als unabhängige Staaten akzeptieren. Die Ukraine lehnt diese Bedingungen ab. International ist Moskau mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Anerkennung der Separatistengebiete isoliert.
In der Ukraine und im Westen wird befürchtet, dass die russischen Angriffe mit Raketen und Granaten auf die Städte zunehmen werden. Russland sagt, dass es nicht die Besetzung der Ukraine plane, sondern die Zerstörung der militärischen Kapazitäten des Landes und die Festnahme gefährlicher Nationalisten. Westliche Regierungen und die Ukraine sprechen indes von einem Angriffskrieg und verweisen unter anderem auf Fotos und Filme mit vielen zivilen Opfern bei der russischen Invasion. Nach UN-Angaben sind bislang mindestens 406 Zivilisten bei den Kämpfen gestorben, Hunderte wurden verletzt.
Kiew, Mariupol und Odessa im Visier
Die ukrainischen Behörden meldeten die Rückeroberung der Stadt Chuhuiv im Nordosten des Landes. Die russische Armee versuche unterdessen, weiter auf Kiew vorzurücken und die Hauptstadt einzukreisen. Britischen Geheimdienstkreisen zufolge griff Russland ähnlich wie im Tschetschenien-Krieg oder in Syrien dicht besiedelte Gebiete an. Der ukrainische Widerstand verzögere jedoch den Vormarsch der russischen Truppen weiter. Pro-russische Separatisten begannen nach Angaben der Regierung in Moskau eine Offensive in der südostukrainischen Hafenstadt Mariupol. Selenskyj hatte vor bevorstehenden Raketenangriffe auf die Hafenstadt Odessa gewarnt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, man werde Schlupflöcher stopfen werde, mit denen die bisherigen drei europäischen Sanktionspakete umgangen werden könnten. Kanzler Olaf Scholz verteidigte, dass die EU derzeit keine Sanktionen gegen russischen Energielieferungen verhängen will. Man arbeite seit Monaten mit Hochdruck daran, Alternativen zur russischen Energie zu entwickeln, teilte er mit. "Das geht aber nicht von heute auf morgen. Daher ist es eine bewusste Entscheidung von uns, auch weiterhin die Aktivitäten der Wirtschaftsunternehmen im Bereich der Energieversorgung mit Russland weiterzuführen." Ein Grund sind auch die stark steigenden Energiepreise. In US-Regierungskreisen hiess es, Washington sei nun aber bereit zu einem Ölembargo. US-Präsident Joe Biden wollte sich noch am Nachmittag mit einigen europäischen Regierungschefs abstimmen.
Beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine bröckelte die bisher einheitliche Front der EU-Staaten etwas: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban erklärte, per Dekret würden Waffenexporte von Ungarn aus in die Ukraine verboten. Er setzt sich damit von mehreren EU-Ländern wie Deutschland ab, die mit Rüstungsgütern die ukrainische Armee unterstützen. US-Vize-Aussenministerin Wendy Sherman warnte, dass es in den kommenden Tagen schwieriger werden könne, Waffen in die Ukraine zu liefern. "Wir werden andere Wege finden müssen, damit klarzukommen", sagt sie, ohne Einzelheiten zu nennen.
(Reuters)