Nach dem haushohen Sieg bei der österreichischen Parlamentswahl könnte der designierte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Suche nach einem möglichen Bündnispartner erstmals auch im linken Lager fischen. Den Grünen ist nicht nur die Rückkehr in den Nationalrat - die Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments - gelungen, sondern sie haben sich mit 14 Prozent der Wählerstimmen auch als potentieller Regierungspartner qualifiziert.

Auf den ersten Blick erscheint ein Schwenk der konservativen Volkspartei (ÖVP) von der rechten FPÖ, mit der zuletzt regiert wurde, hin zu den linken Grünen kaum machbar. Inhaltliche Überschneidungen gibt es laut Politologe Peter Filzmaier gerade einmal zu einem Fünftel. Bei Migration und Umwelt gibt es hohe Differenzen, aber auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik liegen ÖVP und Grüne weit auseinander.

Grüne in der Regierung wäre eine Premiere

Andererseits könnte ein solches Bündnis aus Sicht von Kurz den Reiz des Frischen, Neuen und Unverbrauchten haben. Schliesslich betonte der 33-jährige ÖVP-Chef immer wieder, dass er für Veränderung im Land stehe. Darüber hinaus stehen die Grünen für das wichtige Zukunftsthema Klimapolitik.

Eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene wäre für die Grünen in Österreich eine Premiere. Als mögliche Hürde stufen Politologen ein, dass die Grünen ihre Delegierten über eine mögliche Regierungsbeteiligung abstimmen lassen müssten.

Als Vorbild könnten aber fünf österreichische Bundesländer dienen, wo die Grünen Teil der Regierungsmannschaft sind - grossteils unter ÖVP-Landeschefs. Rechnerisch möglich ist eine Koalition zwischen ÖVP und Grünen jedenfalls. Die beiden Parteien kommen im Nationalrat auf 97 Mandate, notwendig für eine Mehrheit sind 92.

Grünen-Chef Werner Kogler bremste unmittelbar nach der Wahl allerdings Überlegungen über eine Zusammenarbeit mit der ÖVP: "Das zeichnet sich überhaupt nicht ab." Die Grünen müssten sich zunächst neu aufstellen, eine Fraktion aufbauen und Personal für die Besetzung der gewonnenen 23 Mandate finden.

2017 waren die Grünen nach dem Rücktritt ihrer Parteichefin, internen Streitereien und der Abspaltung eines Gründungsmitglieds an der Vier-Prozent-Hürde gescheitert. Der Grünen-Chef zeigte sich auch skeptisch, ob die ÖVP ernsthaft in Verhandlungen gehen wolle.

Inhaltliche Kulft ist gross

Kurz müsse bei wichtigen Themen wie dem Klima, echte Verhandlungsbereitschaft zeigen. "Das wird die ÖVP-Spitze schon beschäftigen, sonst wird das eine Ehrenrunde mit den Grünen", sagte Kogler. So fordern die Grünen eine CO2-Steuer, die von der ÖVP kategorisch abgelehnt wird.

Darüber hinaus wollen die Grünen, die nach ihrer Ansicht "soziale Schieflage" beim Thema Familie geraderücken, da diese die Kinderarmut fördere. Die ÖVP-FPÖ-Regierung hatte unter anderem eine Neuregelung der Sozialleistungen für Familien mit mehreren Kindern beschlossen. Eine komplette Rücknahme dieser Regelung fordert Kogler zwar nicht, aber man müsse nach "Möglichkeiten der Verbesserung" suchen.

Weit auseinander liege man auch bei der Migration. Man sei sich zwar einig, dass der EU-Aussengrenzschutz verbessert werden müsse. Beim Thema Seenotrettung oder Verteilquoten in der EU zeigt sich jedoch eine Kluft.

Kompromissbereitschaft ist klein

Rückenwind ortet Politologe Filzmaier von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Der ehemalige Grünen-Chef will nun darauf achten, dass das Vertrauen nach der Ibiza-Affäre wieder aufgebaut werde. Es solle eine traghafte Regierung gebildet werden, "die sich den wichtigen Zukunftsthemen widmet", sagte das Staatsoberhaupt in einer Ansprache nach der Wahl.

Wenig Chancen für ein Bündnis aus ÖVP und Grünen sieht der ehemalige östrreichische Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Michel Reimon. "Im Klimaschutzbereich, im Menschenrechtsbereich und im Sozialbereich gibt es kaum Schnittmengen", sagte er zum Südwestrundfunk (SWR). Kurz gelte als Mensch "mit wenig Grundsätzen und sehr viel Marketing".

Aus Sicht der österreichischen Grünen gebe es zwar das Potential, etwas zu verhandeln. Kompromisse werde man aber nicht eingehen. Für seine Partei gelte der Spruch des deutschen FDP-Chefs Christian Lindner: "Lieber nicht regieren, als schlecht regieren", sagte Reimon. Optimistischer sah dies ein Besucher der Grünen-Wahlfeier am Sonntag: "Die Chancen stehen nicht schlecht, einfach weil das Thema europaweit angesagt ist. Da kommt auch Kurz nicht darum herum und wird nachlegen müssen."

(Reuters)