Fast fünf Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt es erstmals eine grössere Übereinkunft zwischen den Kriegsparteien: Getreideexporte aus der Ukraine sollen wieder möglich werden. Die entsprechenden Abkommen wurden von UN-Generalsekretär António Guterres und Vertretern der Türkei, Russlands und der Ukraine am Freitag in Istanbul unterzeichnet. Aus Moskau reiste Verteidigungsminister Sergej Schoigu zur Unterschrift an, aus Kiew Infrastrukturminister Olexander Kubrakow. Für die Ukraine war es der 149. Tag der Abwehr russischer Angriffe.

"Dies ist eine Einigung für die Welt", lobte Guterres das Abkommen. Die Verschiffung von Getreide und Lebensmittelvorräten auf die Weltmärkte werde dazu beitragen, "die globale Versorgungslücke bei Lebensmitteln zu schliessen", und die weltweiten Nahrungsmittelpreise zu stabilisieren, sagte er in Istanbul.

Fünftgrössten Getreideexporteurs der Welt

Die Häfen der Ukraine, des fünftgrössten Getreideexporteurs der Welt, waren seit Kriegsbeginn blockiert. Kiew und der Westen machten Moskau verantwortlich dafür, dass die weltweite Versorgung mit Getreide litt. Russland weist dies zurück. Die Ukraine wollte ihre Häfen aus Angst vor russischen Attacken vom Schwarzen Meer aus nicht entminen.

Die Einigung zu den Getreideexporten sieht ein gemeinsames Kontrollzentrum in Istanbul vor. Es soll nach dpa-Informationen von den Vereinten Nationen geleitet und mit Vertretern Russlands, der Ukraine und der Türkei besetzt sein. In dem Zentrum soll ein sicherer Seeweg zwischen der Ukraine und dem Bosporus festgelegt werden.

Zudem einigten sich die Parteien darauf, dass Schiffe mit dem Ziel Ukraine zunächst in Istanbul durchsucht werden. Dies soll sicherstellen, dass sie keine Waffen oder Ähnliches geladen haben. Eine weitere Kontrolle in der Türkei solle es beim Rückweg der Schiffe aus dem Schwarzen Meer geben. Schiffe in dem humanitären Korridor und die beteiligten Häfen dürfen demnach nicht angegriffen werden. Das Abkommen soll zunächst vier Monate gelten. Ukrainischen Angaben zufolge geht es um drei Häfen in der Nähe von Odessa.

Vertrag nur mit Türkei und UN

Die Ukraine wollte die Dokumente aber nur mit der Türkei und den UN unterzeichnen. Spiegelbildlich sollten dann die Türkei und die Vereinten Nationen einen Vertrag mit Russland schliessen. "Die Ukraine unterzeichnet keinerlei Dokumente mit Russland", sagte Mychajlo Podoljak, ein Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar haben sich beide Seiten nur auf den Austausch einiger getöter Soldaten und Gefangener geeinigt; Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe verliefen im Sand.

EU-Ratspräsident Charles Michel hat die Lösung für die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine begrüsst. "Dieses Abkommen kann Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zugute kommen", schrieb der Belgier am Freitag auf Twitter. Die konsequente Umsetzung sei nun von grösster Bedeutung.

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell sprach von einem "Schritt in die richtige Richtung". Zugleich forderte er, das Abkommen schnell umzusetzen. Die EU sei entschlossen, den Export von ukrainischem Getreide zu unterstützen. "Durch Russlands illegale Invasion in die Ukraine sind Millionen von Menschen vom Hunger bedroht."

Michel und Borrell dankten den Vereinten Nationen und der Türkei für ihre Bemühungen um Vermittlung bei der Vereinbarung, die am Freitag in Istanbul unterzeichnet wurde.

(AWP)