Der Plan Europas, Importe von russischem Erdgas über die bestehenden Pipelines bis Ende des Jahres um zwei Drittel zu reduzieren und stattdessen LNG aus den USA und Afrika zu kaufen, verschärft den Wettbewerb um das bestehende Angebot erheblich. Ausserdem wird erwartet, dass die chinesischen Pandemie-Restriktionen im Laufe des Jahres 2022 enden und die industrielle Nachfrage zusätzlich anheizen werden.

In einem normalen Jahr decken sich LNG-Importeure im Sommer mit Vorräten ein für die Hochsaison im Winter. Dieses Jahr scheint diese Bevorratung schon früher begonnen zu haben: südkoreanische und japanische Versorgungsunternehmen haben bereits Bestellungen für Auslieferungstermine bis Anfang 2023 getätigt. Nun droht eine Versorgungskrise. Stromrechnungen könnten weiter ansteigen genauso wie die Inflation. Ärmere Länder könnten ganz leer ausgehen.

"Der bevorstehende Winter macht alle nervös", so James Whistler, globaler Leiter für Energiederivate bei Simpson Spence Young. "Alles deutet auf ein bereits knappes Angebot schon unter normalen Bedingungen hin, aber es gibt noch zusätzliche Risiken."

Die Frage, wie die wachsende Kluft zwischen Angebot und Nachfrage bewältigt werden kann, wird diese Woche auf der Weltgaskonferenz in Südkorea ein heisses Thema sein. Es ist das erste grosse Treffen der Branche in Asien, seit Russland durch den Einmarsch in der Ukraine den LNG-Handel verzerrt und die Preise in die Höhe getrieben hat.

Die weltweite Nachfrage dürfte dieses Jahr etwa 436 Millionen Tonnen erreichen und damit das Angebot von 410 Millionen Tonnen übersteigen, schätzt Rystad Energy. Der zunehmende Verbrauch habe einen regelrechten Ansturm auf neue Projekte ausgelöst, doch wird der Grossteil der dadurch zusätzlich bereitgestellten Mengen erst nach 2024 verfügbar werden, so das Unternehmen.

Händler leiten derzeit Lieferungen, die sonst nach Asien gehen würden, um und verkaufen stattdessen nach Europa, wo die Preise höher sind. Deutschland treibt den Bau von Importterminals voran. Das erste soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. In der Zwischenzeit muss jedoch auf dem Spotmarkt eingekauft werden, und der ist eng. Das Ganze geht am Ende wohl auf Kosten von weniger entwickelten Ländern wie Indien und Pakistan.

"In der Gasversorgung gibt es nirgendwo auf der Welt extra Kapazitäten, so dass sich Europa und Asien in einem Tauziehen um das verfügbare Angebot befinden", so Michael Stoppard, Global Gas Strategy Lead und Special Advisor bei S&P Global Commodity Insights.

Die europäischen Gaspreise sind zwar wieder zurückgekommen von ihrem Höchststand Anfang März, kurz nach dem Einmarsch in der Ukraine, liegen aber immer noch weit über dem durchschnittlichen Niveau. Der Rückgang bedeutet für Abnehmer in Europa womöglich Spielraum, um die Läger in den nächsten Monaten wieder aufzufüllen. Vieles dürfte aber davon abhängen, wie schnell die Nachfrage aus China wieder anzieht.

Der weltgrösste LNG-Importeur kauft derzeit - nach monatelanger Abwesenheit - am Spotmarkt wieder Lieferungen ein in der Erwartung, dass die Nachfrage schnell wieder ansteigt, sobald die Virusbeschränkungen gelockert werden. Dennoch zögern viele chinesische Importeure, Geschäfte zu tätigen, da der Verbrauch derzeit noch niedrig ist. Als Folge könnte es zu einer starken Zunahme der Käufe im späteren Verlauf des Jahres kommen.

"Hohe LNG-Nachfrage in Europa ist sicher, aber die grosse Unbekannte ist China,", sagte Valery Chow, Leiter des Gas- und LNG-Research im asiatisch-pazifischen Raum bei Wood Mackenzie Ltd. "Der Markt wird enger werden bis zum Winter, da europäische und nordasiatische Käufer um die Mengen konkurrieren."

(Bloomberg)