cash: Herr Wellershoff, das Thema des diesjährigen St. Gallen Symposiums lautet «clash of generations». Was ist für Sie das drängendste Problem der nächsten Generation?

Klaus Wellershoff: Die wirtschaftlichen Fragestellungen werden sich schon aussortieren. Aber entscheidend ist, was geschehen wird anhand der Wertepartnerschaft mit der die Menschen miteinander argumentieren. Die grösste Herausforderung wird sein, eine gemeinsame Sprache zu behalten, um miteinander im Dialog zu bleiben, damit man nicht in einem Konflikt endet. Das wird nötig sein, um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme, die gross sein werden, meistern zu können. Die Dialogfähigkeit zu stärken, ist die grösste Herausforderung. Was dann von alleine kommt, sind die Fragen, über die wir alle reden. Während den nächsten drei Jahrzehnten wird die Weltbevölkerung noch ansteigen. Danach beginnt sie voraussichtlich deutlich zu fallen. Bis dahin werden sich uns ganz ernsthafte Verteilungsfragen von Lebensmitteln oder Rohstoffen und damit zusammenhängend auch von Einkommen und Vermögen stellen. Diese Probleme können wir nur lösen, wenn wir unsere Dialogfähigkeit stärken.

Geht es um Generationenkonflikte, ist in der Schweiz die Altersvorsorge ein wichtiges Thema. Wie schätzen Sie deren Zustand ein?

Es ist ein weit besprochenes Problem, dass wir mit dem heutigen System, in dem Ausmass wie wir es formuliert haben, keine vollkommene Deckung der Erwartungen gewährleisten können. Auf der anderen Seite ist die Schweiz ein Land, das die Thematik auch wirklich politisch diskutiert, so dass es schliesslich zu einer Lösung kommen wird. Das heisst, dass wir in friedlicher Form eine Verteilung des Volkseinkommens erreichen, die unserer Vorstellung einer gerechten Gesellschaft entsprechen.

Wäre der zur Abstimmung stehende Mindestlohn ein Mittel, um diese gerechte Gesellschaft zu erreichen?

Ich glaube, das ist ein Instrument, das sehr gut gemeint ist. Man versucht einen Partialeingriff in ein sehr komplexes System. Solche Eingriffe haben in der Regel Nebenwirkungen, die wir aus empirischen Studien für andere Länder kennen und über die ungern gesprochen wird. Nach Ansicht der meisten Ökonomen ist ein solcher Eingriff immer nur eine zweit- oder drittbeste Lösung. Wir haben ja die Instrumente, um für eine gerechte Einkommensverteilung zu sorgen. Das Problem wäre viel effizienter über die Steuern und die Sozialversicherungsleistungen zu lösen.

Würden Sie denn eine Erhöhung der Einkommenssteuer befürworten?

Es ist immer ein ganz interessantes Zeichen, wenn Fragen der Verteilungsgerechtigkeit nicht über das allgemein akzeptierte Mittel der progressiven Einkommensbesteuerung angegangen werden sollen, sondern mit anderen Mitteln. Das zeigt jeweils, dass Partikularinteressen vertreten werden. Wenn das anders wäre und wirklich ein gesellschaftlich breit abgestütztes Interesse vorliegen würde, dann hätte niemand Hemmungen, dieses Anliegen über das Steuersystem zu lösen. Das war bei den Managerlöhnen genau so. Anstatt irgendwelche Obergrenzen zu definieren, hätte man auch ganz einfach sagen können, wir setzen den Steuersatz oberhalb von einer bestimmten Einkommenshöhe auf 100 Prozent. Das hat sich niemand getraut. Partielle Eingriffe lassen sich halt auch gut verkaufen.

Gibt es anstehende Initiativen, wie die Erbsteuer-Initiative oder die Ecopop-Initiative, die Sie für wirtschaftspolitisch sinnvoll halten?

Meist handelt es sich dabei um Vorschläge, die noble Zielsetzungen haben, die in Wirtschaft und Gesellschaft wohl kaum in Frage gestellt werden. Eine Bekämpfung der zunehmenden Ungleichheit der Einkommensverteilung ist etwas, das man durchaus unterstützen sollte. Das Problem sind in der Regel aber die Instrumente, wie das erreicht werden soll. Gerade eine direkte Demokratie ist anfällig dafür, dass man solche Eingriffe vornimmt, wie wir sie jüngst erleben. Wir haben eine riesige Agenda von Initiativen vor uns, von denen die überwiegende Mehrzahl nicht zielführend sein wird. Wir werden viel über unser System reden und dabei wahrscheinlich viel Energie verschwenden.

Wir haben eine spannende Diskussion zum Thema «ewiges Leben» mitverfolgt. Ist es erstrebenswert, für immer leben zu wollen?

Diese Diskussion ist eine sehr persönliche, die auf die Wertebasis jedes Einzelnen zurückgreift. Mein Take-away ist ein ganz anderer: Es ist eine Tatsache, dass wir immer älter werden. Und wir müssen uns mit den Folgen dieser Entwicklung auseinandersetzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich selbst bei bester Gesundheit ewig leben wollte. Es gehört zu meinem Lebenskonzept dazu, dass ich in verschiedenen Phasen die Welt unterschiedlich sehe. Und wenn es jetzt auch noch nicht so weit ist, kann ich mir schon vorstellen, dass ich irgendwann abdanken kann.

Das Gespräch mit Klaus Wellershoff fand im Rahmen des 44. St. Gallen Symposiums statt. Zwischen 1997 und 2009 war Klaus Wellershoff Chefökonom der UBS und seither führt er die international tätige Unternehmensberatung Wellerhoff & Partners.