Umso grösser war daher die Aufregung, als die deutsche Kanzlerin vergangene Woche beim Antrittsbesuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi mehr als eine Minute lang zitterte. Vor den Augen der gesamten Welt war Merkel sichtlich bemüht, ihren Körper wieder unter Kontrolle zu kriegen, während der neben ihr stehende Selenskyi nur kurz zu ihr schaute, ansonsten aber ungerührt nach vorne blickte – was ihm in sozialen Netzwerken der Ukraine prompt den Vorwurf einbrachte, dass er der mitgenommen wirkenden Merkel hätte helfen müssen.

Merkels Mitarbeiter dürften hingegen erleichtert gewesen sein, dass es zu eben dieser Szene nicht gekommen ist. Bilder einer bei grosser Hitze kollabierenden Kanzlerin, die in die Arme eines früheren Komikers sinkt, hätten das Potenzial für erhebliche Irritationen nicht nur im deutsch-ukrainischen Verhältnis gehabt. Sie hätten wahrscheinlich in ganz Europa einen leichten Schauer ausgelöst.

So ging die Sache noch einigermassen glimpflich aus. Beim Abschreiten der militärischen Ehrenformation hatte sich die Kanzlerin wieder im Griff - und trank danach erstmal drei grosse Gläser Wasser. „Das hat offensichtlich gefehlt“, wie sie später gewohnt trocken feststellte. Während der Ukrainer in der Manier eines präsidialen Bodyguards feststellte: „Sie schien mir vollkommen sicher.“

Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Anders als in den USA, wo der Präsident regelmässig der Öffentlichkeit über seinen gesundheitlichen Zustand Auskunft geben muss, ist die Gesundheit der Kanzlerin, wie all jene ihrer männlichen Vorgänger, weitgehend kein Thema.

Öffentlichkeit ist schlecht über Merkels Gesundheitszustand informiert

Als Merkel sich im April 2011 einer Knieoperation unterziehen musste und danach für einige Zeit auf Krücken angewiesen war, war das vor allem ein Thema für Fotografen. Und als sie sich Ende Dezember 2013 beim Skilanglauf eine Beckenverletzung zuzog, litt die Nation mit. Aber wirklich informiert war sie nicht.

Nun aber, in der Endphase der Kanzlerin, sorgen Bilder wie die vom Dienstag für besorgtes Aufmerken. Zumal der Vorfall nicht der erste seiner Art ist. Vor ein paar Monaten, nach einer langen Nachtsitzung des EU-Rates, wirkte die Kanzlerin extrem müde und angeschlagen. Bislang war sie immer dafür bekannt, dass sie selbst noch am frühen Morgen nach einer dieser Brüsseler Endlossitzungen erstaunlich fit, mitunter fast aufgekratzt wirkte. Dieses Mal hatte sie sichtlich Schwierigkeiten beim Sprechen.

Vor zwei Jahren, während eines Staatsbesuchs in Mexiko, hatte Merkel bereits einen ähnlichen Zitteranfall. Mitreisende Journalisten fragten sich damals zunächst, ob die Erde bebe, so sehr schüttelte es die Kanzlerin. Auch damals war es heiss, und nach ein paar Gläsern Wasser alles wieder gut.

Dennoch: Mit Merkels jüngstem Zitteranfall haben die Zweifel, ob die Kanzlerin wirklich bis 2021 durchhält, neue Nahrung erhalten. Sollte sich herausstellen, dass doch mehr dahinter steckt, gäbe es wirklich ein Erdbeben in Berlin - diesmal aber ein politisches.

(Dieser Kommentar spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung von Bloomberg LP oder deren Eigentümern wider. Arne Delfs ist Reporter bei Bloomberg News.)

(Bloomberg)