Wenn es nach der EU-Kommission geht, sollen Unternehmen spätestens 2024 nicht nur über ihre wirtschaftliche Entwicklung einmal im Jahr Rechenschaft ablegen, sondern auch über ihr Abschneiden nach Nachhaltigkeits-Kriterien. Rund 15.000 statt heute 500 Unternehmen müssen dann allein in Deutschland einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen - und diesen auch extern prüfen lassen, wie Nicolette Behncke sagt, die als Partnerin bei PwC im Bereich Sustainability Services arbeitet. Die Aufgabe dürfte auf die Bilanzierungsexperten zukommen, auch wenn die Kontrolle von Emissionen, Energieverbrauch oder des Anteils "grüner Umsätze" bisher nicht zu ihren Kernkompetenzen zählt.

Das ist durchaus im Sinn der EU. "Das wird schliesslich ein elementarer Bereich der Berichterstattung. Es macht keinen Sinn, das von der Finanzberichterstattung zu trennen", sagt Jan-Menko Grummer, der das "Long Term Value"-Programm bei EY leitet. Der Nachhaltigkeitsbericht werde künftig Teil des Lageberichts sein - und damit in den Geschäftsbericht integriert, ist Klaus-Peter Naumann sicher. Er ist Sprecher des Vorstands des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IdW), das die Richtlinien für die Branche in Deutschland formuliert. "Schliesslich führen Klimarisiken oft zu Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung - in der Industrie wie im Finanzsektor."

Ein Kohlekraftwerk etwa muss schneller abgeschrieben werden, wenn der Kohleausstieg früher kommt. Die Zukunftsprognose für einen Autobauer hängt davon ab, ob und wann er Elektroantriebe im Programm hat. Wenn Vorstands-Boni teils von Nachhaltigkeits-Zielen abhängen, müssen die Kriterien ohnehin im Lagebericht stehen. Das alles muss der Abschlussprüfer ins Kalkül ziehen.

"Wenn der Wirtschaftsprüfer mehr prüft, wird das auch mehr kosten", sagt Naumann klar. EY-Partner Grummer glaubt, dass sich die Kosten für die Unternehmen verdoppeln könnten. Grosskonzerne wie die Deutsche Bank oder Siemens geben heute schon rund 50 Millionen Euro im Jahr für die Bilanzprüfung aus. "Ich wäre nicht überrascht, wenn der Umfang der Prüfung in vier bis fünf Jahren ähnlich hoch wäre. Aber die Gesellschaft lässt sich das eben etwas kosten", sagt Grummer.

Neuland für den Mittelstand - und für viele Prüfer

Für viele Unternehmen, vor allem aus dem Mittelstand, ist die nicht-finanzielle Berichterstattung völliges Neuland. "Wir müssen aufpassen, dass wir sie damit nicht überfordern", mahnt Naumann. Das gilt auch für viele Prüfer, vor allem aus kleinen Gesellschaften. "Die Prüfungstechnik verstehen wir, aber wir brauchen noch ergänzendes Know-how", sagt der IdW-Chef. Dieses werde man sich vorerst bei Experten beschaffen müssen. "Am Ende braucht man einen multidisziplinären Ansatz. Denn letztlich muss sich der Prüfer ein eigenständiges Urteil bilden können." Auf längere Sicht kämen die Prüfkonzerne nicht ohne eigene Leute vom Fach aus. "Künftig wird niemand mehr Wirtschaftsprüfer werden können, der sich nicht auch mit Nachhaltigkeit beschäftigt", ist Behncke sicher.

Denn Nachhaltigkeit ist längst kein Thema mehr, das nur Klimaschützer oder Umweltpolitiker interessiert. Spätestens seit Firmen "grüne Anleihen" (Green Bonds) mit höheren Zinsen begeben und Fonds mit dem Stempel "Nachhaltigkeit" auflegen, ist sie auch für Investoren von Bedeutung. Unternehmen - wie zuletzt die Deutsche-Bank-Tochter DWS - setzen sich rasch dem Vorwurf des "Greenwashing" aus, wenn sie die Kriterien zu locker auslegen. Eine Gruppe grosser Vermögensverwalter und Pensionsfonds mit Kapitalanlagen von 4,5 Billionen Dollar drohte den vier grossen Wirtschaftsprüfungskonzernen KPMG, PwC, EY und Deloitte vor dem Klimagipfel in Glasgow sogar, sie auf den Hauptversammlungen abzuberufen, wenn sie den Klimawandel bei der Abschlussprüfung nicht stärker ins Kalkül zögen.

Prüfer: EU-Vorgaben teilweise widersprüchlich und unklar

"Es ist eine grosse Verantwortung mitzuhelfen, dass die Daten nicht willkürlich erhoben werden", sagt PwC-Partnerin Behncke. "Wir müssen gewährleisten, dass der Kapitalmarkt auf die Angaben vertrauen kann." Dabei fehlt in den meisten Unternehmen bisher eine Stelle, an der Daten zur Nachhaltigkeit zentral gesammelt werden. Auch die Vorgaben der Bürokraten aus Brüssel stellen die Prüfer vor Probleme. Die Taxonomie lasse einiges im Unklaren und sei sogar zum Teil widersprüchlich, kritisiert Naumann. Viele Standards müssten noch präzisiert werden, fordert Behncke. "Das wird man sich über Jahre erarbeiten müssen." EY-Kollege Grummer ist skeptisch, dass das Regelwerk schon für die Jahresbilanzen 2023 anwendbar ist. "Ich halte das nicht für realistisch." Es gebe bereits Bestrebungen, die Einführung um ein Jahr zu verschieben. "So oder so wird das ein Kraftakt."

(Reuters)