Es ist doch sehr erstaunlich, wie lange das gedauert hat: Fast vier Jahre lang kritisierte kein ranghoher Exponent des hiesigen Finanzplatzes die Negativzinsen der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Wenn Kritik, dann taten dies Banken-CEO, Versicherungsmanager oder Pensionskassenchefs hinter vorgehaltener Hand. Denn es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Öffentliche Kritik an der SNB - das ist in unserem Land einfach nicht erwünscht.

Nun hat UBS-CEO Sergio Ermotti das Tabu gebrochen. Er kritisiert in einem Zeitungsinterview die anhaltenden Negativzinsen und die dadurch aufgeblähte Bilanz der Nationalbank. Ermotti gibt zu bedenken, dass die SNB wegen ihrer Tiefzinspolitik wenig Spielraum und Mittel habe, sollte die nächste Krise hereinbrechen: «Darüber wird zu wenig diskutiert», sagt der UBS-Chef.

Ermotti hat recht. Er hätte sogar noch einen draufsetzen können. Die Negativzinsen - eingeführt, damit sich der Franken nicht weiter aufwertet – bevorteilen seit vier Jahren einseitig einige Branchen in der Schweiz und setzen andere unter Druck. Wegen des schwächeren Frankens profitieren die Exportwirtschaft und der Tourismus. Unter Dauerdruck stehen dagegen die Finanzindustrie und das Vorsorgesystem.

Das wissen eigentlich alle sehr genau in der Schweiz, welche den Themen Volkswirtschaft, Beschäftigung und Geldpolitik nachgehen.  Vor allem auch unsere Politiker von links bis rechts. Doch fast alle wischen die Auswirkungen der Negativzinsen der Nationalbank, vor allem langfristige, unter den Teppich.

Ich frage mich immer wieder: Warum sagt nie ein Politiker aus dem linken Spektrum, dass die SNB-Negativzinsen die Immobilienpreise in der Schweiz in die Höhe treiben und dass damit Immobilienbesitz nur noch für vermögende Bevölkerungskreise erschwinglich ist?

Oder: Weshalb thematisiert keine bürgerliche Politikerin deutsch und deutlich die Langfristwirkungen der SNB-Negativzinsen auf das Vorsorgesystem? Und warum erklären gerade auch Banken nicht ganz offen in ihren Kundenbriefen, dass die Erhöhung der Kontoführungsgebühren und anderes Folgen der SNB-Negativzinsen sind? Die Banken brauchen lieber unsäglich verschwurbelt formulierte Sätze. 

Fakt ist der: Das Tiefzinsniveau wird uns noch länger erhalten bleiben. Grund: Die Eurozone ist ein permanenter Krisenherd und erträgt daher keine hohen Zinsen. Und die Nationalbank kopiert die Zinsschritte der EZB, weil sie zu unabhängigem Handeln nach der dilettantisch durchgeführten Aufhebung der Kursuntergrenze keinen Mut mehr hat. Umso mehr gehören die Folgen der Negativzinsen in der Schweiz offen und tabulos diskutiert - und mehr denn je angeprangert.