cash: Frau Navidi, der erste WEF-Tag ist vorüber. Wie sind Ihre Eindrücke?

Sandra Navidi: Die Stimmung ist nicht mehr so schlecht wie letztes Jahr. Es scheint, als hätte man sich nach fünf Jahren Krise an diesen Zustand gewöhnt. Der Krisenmodus ist quasi zur neuen Normalität geworden. Entscheidend ist, wen man fragt. Wer etwas zu verkaufen hat wie Banker oder Politiker, ist heute grundsätzlich etwas optimistischer. Die CEO aber, die unter Druck stehen, sehen die Lage tendenziell durchwachsen. 
 
'Widerstandsfähige Dynamik' heisst das diesjährige Motto des WEF. Eine realistische Kombination im aktuellen Umfeld?
 
Beide Komponenten sind schwierig zu erfüllen. Ich finde es gut, dass man die Zukunft optimistisch anpackt. Wir können ja nicht für die nächsten zehn Jahre Trübsal blasen. Das Problem ist, dass man bei der Krisenbekämpfung nur Mini-Fortschritte sieht, die erst noch im Schneckentempo ablaufen. 
 
Vergangenes Jahr herrschte unter dem Eindruck der Euro-Krise tiefer Pessimismus. Ein Glücksfall,  dass die Untergangsszenarien nicht eintrafen?
 
Es hat zumindest gezeigt, dass die Eurozone sich bisher bewiesen hat. Man war schon einige Male gefährlich nah an der Kippe, aber gerade Institutionen wie die EZB haben Massnahmen ergriffen, die sich bislang als sehr effizient erwiesen haben. Aber die Gefahr ist noch nicht gebannt und ein nachhaltiger Lösungsansatz nicht vorhanden.
 
Ist 2013 das Jahr des Zweckoptimismus?
 
Das kommt in etwa hin. Ich finde es schon mal positiv, dass man die Herausforderungen optimistisch anpackt. Wir können ja nicht für die nächsten zehn Jahre Trübsal blasen. 
 
Dem WEF wird immer wieder vorgeworfen, keine konkreten Ergebnisse und Empfehlungen hervorzubringen. Zu Recht?
 
Nein, es ist unrealistisch zu erwarten, dass man einige Tage zusammenkommt und Lösungen für alle global umspannenden Probleme finden. Selbst die G20, die viel eher Beschlüsse fassen und umsetzen könnte, kommt kaum von der Stelle. In Davos ist viel mehr Dynamik zu spüren, weil Entscheidungsträger sich informell austauschen können. So verdichtet sich das Puzzle zu einem kompletteren Bild, und das hilft zumindest bei der Suche nach Lösungen. 
 
Optimismus ist auch in den USA gefragt. In gut vier Wochen kommt es im Haushaltsstreit zum nächsten Showdown. Wie ist dort die aktuelle Stimmung?
 
Die ist ziemlich durchwachsen. Aber man gewöhnt sich an diesen Nervenkitzel. Es ist wie eine Seifenoper. Jede Folge hört mit etwas Spannendem auf, und die Fortsetzung mit den gleichen Hauptdarstellern folgt bestimmt. 
 
Wird es zur gewohnten Einigung in letzter Sekunde kommen?
 
Vielleicht nicht in allerletzter Sekunde. Die Konservativen signalisieren bereits, dass sie bereit sind einzulenken. Sie haben viele geschäftliche Interessen und machen in Washington ihren Einfluss geltend. 
 
Teile der Konservativen wollen unter Bedingungen die Schuldenobergrenze bis Mitte Mai ausser Kraft setzen. Was ist davon zu halten?
 
Diese Grenze ist im Grunde genommen irrelevant. Es ist ein künstliches Konstrukt, das sie die Amerikaner selber auferlegt haben. Nun wird es je länger je mehr ad absurdum geführt, indem die Obergrenze Mal für Mal ausgereizt wird. 
 
Was bedeutet der Haushaltsstreit für die Börsen?
 
Bislang waren die Börsen tendenziell zu optimistisch. Anleger müssen sich deshalb darauf einstellen, dass bei einem negativen Szenario die Aktienmärkte auf die andere Seite übertreiben könnten. 

 
Im Video-Interview sagt Navidi zudem, wieso sie erneut an eine Kompromisslösung im US-Haushaltsstreit glaubt. 
 
Sandra Navidi ist Gründerin und Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens Beyond Global. Zuvor arbeitete sie mehrere Jahre für den amerikanischen Top-Ökonomen Nouriel Roubini. Die gebürtige Deutsche lebt seit elf Jahren in New York.