cash veröffentlichte diese Woche eine Interview-Serie mit Schweizern, die im Ausland wohnen und arbeiten. Sie beurteilen die Situation in ihrem Gastland - und, von aussen betrachtet, die Lage der Schweiz. Heute der letzte Teil mit Alfred Mettler. Er arbeitet seit 15 Jahren als Finanzprofessor an der Georgia State University in Atlanta (USA). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im internationalen Banking und Finance, dem Risikomanagement von Finanzinstitutionen und der globalen Finanzarchitektur.

cash: Herr Professor Mettler, sie leben nun schon seit 15 Jahren in den USA. Was nervt Sie am meisten im Alltag in den USA?

Alfred Mettler: Der Verkehr! Und dass es kein Ausweichen auf öffentliche Verkehrsmittel gibt. Zudem empfinde ich die Bürokratie als mühsam und ineffizient.

Und was können die Schweizer von den US-Amerikanern lernen?

Im Alltag etwas mehr Freundlichkeit, Grosszügigkeit und Toleranz zu leben. 'Shit happens', wie Forrest Gump es im gleichnamigen Film sagt.

Was bedeutet Ihnen die Schweiz noch?

Sehr viel. Es ist das Land, in dem ich aufgewachsen und sozialisiert worden bin. Das trägt man immer mit sich.

Wie oft reisen Sie in die Schweiz?

Ungefähr sechs bis acht Mal pro Jahr für Sitzungen, Vorträge, Vorlesungen und natürlich Ferien.

Nervt Sie etwas, wenn Sie in der Schweiz sind?

Der Negativismus in den Medien. Es gibt so viele positive Dinge in der Schweiz, der Alltag funktioniert im Vergleich mit anderen Ländern ausgezeichnet, und trotzdem hat man manchmal den Eindruck, das Land sei voller Probleme.

Wie informieren Sie sich über die Geschehnisse in der Schweiz?

Ich habe diverse Zeitungen abonniert. Online oder als Print-Ausgabe. Zudem bin ich ein grosser Fan von Radio- und TV-Podcasts.

Nehmen Sie als Auslandschweizer an Abstimmungen teil?

Ja, sehr aktiv. Und zwar nicht nur ich, sondern die ganze Familie!

Angenommen, Sie wären Präsident der amerikanischen Notenbank. Hätten Sie denselben geldpolitischen Kurs wie Ben Bernanke eingeschlagen, um die US-Wirtschaft anzukurbeln?

Ja, das hätte ich. Die Situation nach der Krise war ohne Präzedenzfall. Niemand wusste genau, wie man am besten vorgehen sollte. Ben Bernanke ist einer der profundesten Kenner der Weltwirtschaftskrise und hat sich für eine Strategie des extrem lockeren Geldes entschieden. Viele andere hätten es an seiner Stelle wohl auch so gemacht.

Nun drosselt Ben Bernanke die Anleihenkäufe um zehn Milliarden Dollar pro Monat. Waren Sie überrascht?

Nein, nicht wirklich. Die Reduktion ist minimal und signalisiert die künftige Richtung. Es ist auch ein Testlauf, um zu sehen, wie die Märkte reagieren werden. Dieser Schritt kam nicht zu früh. Weiter finde ich es gut, dass das Signal noch von Bernanke kam und nicht erst von seiner Nachfolgerin Janet Yellen.

Das historisch einzigartige Vorgehen der Zentralbanken weltweit schürt Ängste, dass mittelfristig die Inflationsraten und die Zinsen deutlich steigen werden.

Das sehe ich auch so. Inflation und höhere Nominalzinsen werden mittelfristig kommen, weil Alternativen offensichtlich politisch nicht durchsetzbar sind.

Die rekordtiefen Zinsen führen verstärkt zu Fehlallokationen. Die Bewertung des US-Aktienmarkts zum Beispiel nimmt laufend zu. Sind die Bewertungen noch gerechtfertigt?

Sie sind in der Tat ziemlich hoch, aber noch höher sind die Immobilienpreise in der Schweiz. Beides wird wohl korrigiert werden.

Wie lautet Ihre Prognose hinsichtlich des US-Wirtschaftswachstums für das kommende Jahr?

Ich denke, es wird anziehen. Die USA haben für mich nach wie vor die flexibelste und agilste Wirtschaft, und sie werden die ersten sein, bei denen sich wieder ein spürbares Wachstum einstellen wird.

Nochmals in die Schweiz: Weniger als 100 Banken werden im Zusammenhang mit dem US-Programm zur Beilegung des Steuerstreits wohl die Kategorie 2 wählen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich würde es hoffen, aber eine Prognose ist praktisch nicht möglich. Jede Bank muss diesen Entscheid selbst treffen, und wir werden in wenigen Wochen mehr dazu wissen.

Überraschte Sie die Nachricht, dass sich die Bank Vontobel kürzlich als unschuldig erklärt hatte? Und glauben Sie, dass sich noch mehrere Banken für unschuldig halten?

Ich fand es sehr positiv, dass Vontobel als erste Bank nach minutiösen internen Untersuchungen zum Schluss kam, in Kategorie 3 zu gehören. Ich bin überzeugt, dass es diverse weitere Banken gibt, die eigentlich ebenso dorthin gehörten, aber aus verschiedenen Gründen Kategorie 2 wählen werden.

In der Schweiz herrschen Zweifel, dass mit dem Akzeptieren des US-Programms zur Beilegung des Steuerstreits die Sache gegessen ist. Sind diese Zweifel berechtigt?

Wenn die wirklich schuldigen Banken sich in Kategorie 2 einordnen, wird nachher der formale Teil vorbei sein und eine gewisse Sicherheit einkehren. Aber die rechtlichen Verfahren werden sich noch einige Zeit hinziehen. Was bedeutet, dass wir trotzdem immer wieder darüber hören werden.

Machen Sie den US-Steuerdeal mit der Schweiz in ihren Vorlesungen zum Thema? Und wie reagieren ihre Studenten darauf?

Ich thematisiere das nur in ganz wenigen Spezialvorlesungen. Die allermeisten Studenten haben nie von diesem Steuerstreit gehört, auch nicht diejenigen, die als Europäer an unserer Universität ein Austauschsemester verbringen.

Wie legen Sie eigentlich Ihr Privatvermögen an?

Schweizerisch-konservativ. Nur ein kleinerer Teil ist in einem, wie ich es nenne 'Las Vegas Account' investiert, in welchem ich riskantere Strategien teste – mit durchzogenem Erfolg ...

Wo und wie verbringen Sie die Festtage?

Zu Hause mit meiner Familie. Über die Jahre haben wir unsere eigenen Traditionen entwickelt, es ist ein Zusammenfluss verschiedener Kulturen. Wichtig ist dabei immer gutes Essen. Meine Frau ist eine exzellente Köchin. Ein guter Wein und bereichernde Diskussionen dürfen nicht fehlen.