Die Geldmärkte rechnen mit einer Straffung um etwa 50 Basispunkte im Dezember, was darauf hindeutet, dass der Einlagensatz von derzeit -0,5 Prozent auf null angehoben wird. Analysten von Goldman Sachs und der Deutschen Bank pflichten dem bei und sagen für die kommenden Monate zwei Erhöhungen um je einen Viertelpunkt voraus.

Zuvor hatten die Ökonomen eine "taubenhaftere" Haltung vertreten, die näher an der Orientierung der EZB selbst lag, wonach die Zinsen bis 2023 auf einem Rekordtief bleiben würden.

Auslöser für die Verschiebung der Erwartungen war die Pressekonferenz von EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag, auf der sie eine Zinserhöhung in diesem Jahr angesichts der höchsten Inflation seit Einführung des Euro nicht mehr explizit ausschloss.

Letzte EZB-Zinserhöhung 2011

Mit diesem Schwenk befindet sich die EZB mehr im Einklang mit der Federal Reserve und der Bank of England. Letztere hat in dieser Woche eine Zinserhöhung um einen Viertelpunkt vorgenommen, die ohne den Einspruch von Gouverneur Andrew Bailey wohl noch höher ausgefallen wäre. Zuletzt erhöhte die EZB die Zinsen im Jahr 2011.

"Wir rechnen nun mit einem deutlich früheren Ausstieg der EZB", so die Analysten von Goldman Sachs um Jari Stehn, die Zinserhöhungen im September und Dezember vorhersagen. Die Sitzung am Donnerstag "signalisierte, dass der EZB-Rat wenig Bereitschaft hat, über die derzeit hohen Inflationsraten hinwegzusehen."

Ein solcher Zeitplan würde ein noch früheres Ende der Anleihekäufe bedeuten als derzeit geplant, da die EZB die erklärte Absicht hat, zuerst diese Stimulierungsmassnahme zu beenden. Goldman Sachs und die Deutsche Bank gehen beide davon aus, dass die Anleihekäufe im Juni enden werden. Die Commerzbank, die dieselbe Zinsprognose für 2022 hat, erwartet ein Ende der Käufe Anfang September.

Intern gehen die EZB-Entscheider nach Bloomberg-Informationen davon aus, dass es bereits im nächsten Monat, wenn sie auch ihre Anleihekäufe neu bewerten werden, zu einer Änderung der offiziellen geldpolitischen Richtschnur kommen wird. EZB-Ratsmitglied Madis Müller sagte am Freitag, die EZB werde möglicherweise überprüfen, wie schnell sie ihre Anleihekäufe beendet, und sei bereit, ihre derzeitigen Pläne gegebenenfalls anzupassen.

Nicht alle erwarten den Zinschritt 2022

Während mehrere Ökonomen ihre Prognosen nach Lagardes Äusserungen geändert haben, gehen einige nach wie vor davon aus, dass die EZB einen wesentlich graduelleren Ansatz verfolgen wird. So hat Holger Schmieding von Berenberg seine Vorhersage für die erste Zinserhöhung um drei Monate auf März 2023 vorverlegt.

Selbst dieser Pfad ist aus Sicht der Ökonomen von ABN Amro nicht realistisch. Sie gehen davon aus, dass sich die Zinsen im gesamten Prognosehorizont der EZB, der derzeit bis Ende 2024 reicht, nicht ändern werden.

"Obwohl die Chancen für eine Zinserhöhung in diesem Jahr deutlich gestiegen sind, ändern wir unser Basisszenario vorerst nicht", so Nick Kounis und Aline Schuling, beide bei ABN Amro in Amsterdam, in einer Note an Kunden. "Es ist für uns schwierig, Argumente für eine Anhebung der Zinsen angesichts eines angebotsseitigen Schocks zu finden, wenn wir kaum Anzeichen für Zweitrundeneffekte sehen."

(Bloomberg)