Während sich die Welt von der Coronavirus-Pandemie zu erholen beginnt, flammen in unterschiedlichen Branchen - von Gebrauchtwagen bis zu Bauholz - Preisschübe auf. Das hat die Kreditkosten an den Finanzmärkten der grossen Volkswirtschaften auf Mehrjahreshochs getrieben.

Während die meisten Zentralbanker sich überzeugt geben, dass diese Anstiege nur vorübergehender Natur sind, schlagen einige Ökonomen Alarm. Die US-Konsumentenpreise stiegen im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat um 5 Prozent. Im April hatte die Rate 4,2 Prozent betragen, was ebenfalls mehr als erwartet war.

Zu den Ökonomen, die Alarm schlagen, gehört Roger Bootle, Gründer von Capital Economics und Autor des 1996 erschienenen Buches “The Death of Inflation: Surviving and Thriving in the Zero Era”. Damals argumentierte er, dass Jahrzehnte anhaltend hoher Teuerung zu Ende gegangen seien.

Auch wenn er keine Rückkehr zu dieser Ära sieht, vertrat Bootle in einem Bloomberg-Interview am 2. Juni die Auffassung, dass die Welt wiederum an einem Wendepunktes steht.

Bloomberg: In den 1990er Jahren haben Sie den Beginn einer neuen Ära der Inflation ausgemacht. Glauben Sie, dass wir gerade wieder an so einem Punkt stehen?

Roger Bootle: Es ist der Beginn einer Zeitenwende, würde ich behaupten. Das soll nicht heissen, dass wir zu den kräftigen inflationären Bedingungen der 70er und frühen 80er Jahre zurückkehren. Aber zumindest denke ich, dass wir am Ende der kryptodeflationären Phase stehen, in der wir uns in den letzten Jahren befunden haben. Die Deflationsgefahr ist vorüber und die Risiken haben sich definitiv in die andere Richtung gedreht. Wie hoch die Inflation ansteigen wird und für wie lange, das ist fraglich. Aber ich habe keine grossen Zweifel, dass es einen grundlegenden Wandel gegeben hat.

Welche allgemeinen Trends prägen Ihren Ausblick?

Man muss zwischen zwei Haupteinflüssen und der Politik unterscheiden: drei Dinge sind also zu beachten. Der erste ist auf der Angebotsseite - Kostenfaktoren und institutionelle Faktoren. Dann die Globalisierung, der Niedergang der Gewerkschaften und die Verschärfung des Wettbewerbs. All diese Dinge, von denen ich dachte, dass sie, wenn man so will, ein bisschen wie ein umgekehrter Ölschock wirken, stellten eine Reihe von Preisschocks nach unten dar. Es gibt immer noch die Möglichkeit, dass einige dieser Faktoren sichtbar werden und bleiben. Aber das Blatt hat sich gewendet und die Risiken liegen eher in der anderen Richtung.”

Gibt es bestimmte Bereiche, die Anlass zur Sorge geben?

Wenn ich auf einen einzelnen Faktor setzen müsste, der die Kosten in den kommenden Jahren in die Höhe treiben wird, würde ich sagen, dass es der Klimaschutz ist und insbesondere das Streben nach der Vermeidung von Emissionen. Dies wird zu einer ganzen Reihe von Kosten- und Preiserhöhungen in der gesamten Wirtschaft führen. Das zweite Element ist die Nachfrage. In der Ära vor der niedrigen Inflation war es üblich, dass Entscheider und Akademiker die institutionellen Faktoren auf der Angebotsseite völlig ignorierten, da sie ihrer Ansicht nach völlig irrelevant waren - es ging nur um Geld. Wenn man sich die Nachfragefaktoren ansieht, ist das ziemlich auffällig. Wir treten in eine Periode ein, in der die Nachfrage stark sein wird. Es gibt Nachholbedarf wegen Covid. Es gibt Leute mit viel Geld.

Glauben Sie, dass sich bei den politischen Entscheidungsträgern eine gewisse Sorglosigkeit einschleicht?

Ich bin mir nicht sicher, ob Sorglosigkeit das richtige Wort ist. Ich denke, es ist überzogener Optimismus in Bezug auf die Inflation, in zweierlei Hinsicht. Erstens, dass sie nicht so stark ansteigt, zumindest nicht dauerhaft. Und zweitens, dass sie, falls es doch dazu kommt, in der Lage sein werden, sie nach Bedarf einzudämmen. Politische Entscheidungsträger haben eine natürliche Neigung, sich zurückzulehnen und zu denken, dass sich alles schon regeln wird. Ich denke, die Schlussfolgerung sollte genau das Gegenteil sein. Wegen der Gefahren, die in dieser Welt von heftigen Zinserhöhungen ausgehen, sollten sie damit beginnen, die Zinsen früher zu erhöhen und sich behutsam zu bewegen, um die Zinsen irgendwo in die Nähe eines normaleren Niveaus zu bringen, anstatt dazu gezwungen zu werden.

Wir haben einige Diskussionen darüber gesehen, ob wir eine Rückkehr zu einer Inflation wie in den 1970er Jahren erleben werden. Glauben Sie, dass der Vergleich richtig ist?

Nein, der Vergleich mit den 1970er Jahren ist nicht zutreffend. Wenn man sich die langfristige Geschichte der Inflation anschaut, und ich habe mir Daten aus Grossbritannien angeschaut, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, dann gab es nie eine anhaltende Inflationsperiode, wie wir sie in den 1970er Jahren hatten. Man sieht Inflationsschübe. Denen folgen in der Regel viel niedrigere Zinsen oder sogar Deflation. Die 1970er Jahre waren etwas Besonderes. Zunächst einmal begannen sie mit recht hoher Basisinflation. Und dann traten mehrere Schocks auf, zwei Ölpreisschocks. Die Einstellungen von Geld- und Fiskalpolitik waren extrem locker. Und das alles in einem institutionellen Kontext, der der Inflation förderlich war - sehr mächtige Gewerkschaften, mächtige Unternehmen, ein hoher Anteil an öffentlichem Eigentum in diesem Land und vieles mehr. Ein besserer Vergleich sind die 1950er und 60er Jahren vor dem inflationären Höhenflug ab Ende der 60er Jahre. Wir gingen dann durch eine lange, lange Periode dessen, was damals übrigens als ziemlich hohe Inflation erschien - und wir lernten erst später, dass es das gar nicht war.”

(Bloomberg)