"Es ist nicht die Frage, ob Delta die führende Variante wird, sondern wann", sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Berlin. Spätestens im Herbst werde sie die Oberhand haben. In Deutschland habe die Variante derzeit einen Anteil von sechs Prozent. "Wichtig ist daher, dass wir die Ansteckungen jetzt unten halten." Auch in Portugal und Russland ist die Mutante auf dem Vormarsch. Am ausgeprägtesten ist sie in Grossbritannien, wo die Zahl der Neuinfektionen stark steigt.

In Berlin sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, die neue Lage könnte auch beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag nächste Woche in Brüssel Thema werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte mit Blick Delta zur Vorsicht bei der Öffnung des Reiseverkehrs. "Ich bitte um Verständnis, wenn wir an manchen Stellen ein bisschen vorsichtig sind", sagte Merkel auf der nationalen Luftfahrtkonferenz im Gespräch mit Lufthansa-Chef Carsten Spohr in Berlin. "Wir wollen nicht rein und raus aus den Kartoffeln", ergänzte sie. "Wir müssen Schritt für Schritt vorsichtig vorgehen."

«Frühzeitig regional unter Kontrolle bringen»

Auch RKI-Präsident Wieler mahnte, die Einhaltung der Corona-Schutzmassnahmen wie Abstand, Lüften und Maske in Innenräumen sowie die fortschreitende Impfkampagne könnten dazu beitragen, die Ausbreitung der Variante zu verlangsamen. Er warnte aber vor steigenden Zahlen im Herbst. Bis dahin müsse so viel wie möglich geimpft werden. Laut Gesundheitsminister Spahn sind mittlerweile mit 50,1 Prozent mehr als die Hälfte der Deutschen mindestens einmal geimpft. Das entspreche 41,5 Millionen Menschen. 29,6 Prozent hätten mit der Zweitimpfung mittlerweile den vollen Schutz. "Diese Zahlen machen zuversichtlich." Spahn appellierte aber an die Bundesländer und Landkreise, die Entwicklung genau zu beobachten und schnell Massnahmen zu ergreifen, sollten die Zahlen wieder steigen. "Wir müssen frühzeitig die Dinge regional unter Kontrolle bringen."

Am Freitag meldete das RKI für Deutschland eine Sieben-Tage-Inzidenz von 10,3 nach 11,6 am Donnerstag und 1076 Neuinfektionen. "Wir sind sehr froh und sehr dankbar darüber, wie sich die Zahlen entwickeln", sagte Wieler. Aber die Pandemie sei nicht vorbei. Deutschland dürfe seine Erfolge jetzt nicht leichtfertig verspielen. Insofern sei es wichtig, weiterhin nur "behutsam und kleinschrittig" zu öffnen.

In Grossbritannien steigt die Zahl der Infektionen mit Delta unterdessen rasant an. Der Nationale Gesundheitsdienst meldete für die Woche zum 16. Juni 33.630 Neuinfektionen auf insgesamt 75.953, ein Plus von 79 Prozent zur Vorwoche. "Die Fälle steigen schnell im ganzen Land, und die Delta-Variante ist jetzt dominant", erklärte die Behörde.

Auch in Portugal ist die Lage angespannt, vermutlich weil britische Touristen die Delta-Variante eingeschleppt haben. Wegen eines starken Anstiegs der Fälle in Lissabon dürfen die Bewohner der portugiesischen Hauptstadt am Wochenende die Region nicht verlassen. Ausländische Touristen sind von der Regelung ausgenommen.

In Russland breitet sich Delta ebenfalls rasant aus. Kritisch ist die Lage in Moskau. Für Freitag meldete die Hauptstadt mit 9056 Neuinfektionen einen neuen Höchstwert.

(Reuters)