Wie teuer kommt uns Omikron zu stehen? Dies ist die Hauptfrage, welche derzeit die Wirtschafts-Welt bewegt. Natürlich haben auch die Ökonomen nur wenig Ahnung, wie gefährlich die neue Virusvariante werden kann, doch die Erschütterungen sind bereits jetzt in ihren Daten zu spüren.

Blickt man auf die zahlreichen Statements von Wirtschaftsexperten, die seit Freitag publik wurden, so schälen sich zwei Haupt-Erklärungen heraus – beide mit einem Fremdwort versehen: "Stagflation" beziehungsweise "transitorisch".

Variante eins: Nun droht die grosse Stagflation

Zu den grossen und prominenten Warnern der letzten Tage zählt Mohamed El-Erian, der inoffizielle Chefökonom der Allianz-Gruppe und Präsident des Queens College in Cambridge. Bei einem Auftritt auf "Fox News" äusserte er die Befürchtung, dass Omikron zwei Probleme zusammenführt:

  • Erstens könnte das Virus nochmals einen konjunkturellen Rückschlag auslösen: "Wir werden weniger reisen, wir gehen seltener ins Restaurant und es gibt wieder neue Restriktionen".
  • Und zweitens könnte sich dabei die Inflation noch mehr aufheizen – "weil die Lieferketten noch stärker unterbrochen werden", so El-Erian am Sonntag.

Der Ökonom warnte denn auch, dass sich die Inflation bis weit ins nächste Jahr hinein fortschreiben dürfte. Die Notenbanken müssten diese Gefahr ernst nehmen, "denn das allein kann genügen, um unsere wirtschaftliche Erholung aus der Bahn zu werfen."

Ähnliche Sorgen teilte auch Alicia Garcia Herrero, die Chefökonomin für den asiatisch-pazifischen Raum bei Natixis: "Wir befinden uns noch nicht in einer Stagflation. Aber ein weiteres Jahr ohne grenzüberschreitende Mobilität und damit verbundene Unterbrechungen der Lieferketten könnte uns dorthin treiben."

Variante zwei: Die Sache ist vorübergehend

Viele Ökonomen denken jedoch, dass die Auswirkungen geringer ausfallen werden als beim Corona-Rückschlag 2020. Denn die Regierungen zögern zunehmend, wieder Lockdowns zu verhängen. Zudem seien die Gesellschaften flexibler, weshalb Anti-Virus-Massnahmen heute weniger wachstumsschädlich wären.

"Unternehmen und Haushalte haben sich auf Beschränkungen und Verbote eingerichtet, so dass die Folgen dieses Mal vielleicht nicht so schwerwiegend sind", sagte etwa Rob Subbaraman, Leiter Global Markets Research bei Nomura.

In dieselbe Richtung spekulierten auch diverse Notenbanker (die allerdings auch ein gewisses Interesse daran haben, Befürchtungen zu dämpfen): Die Wirtschaft habe derzeit ein starkes Momentum, sagte Raphael Bostic, der Präsident der Federal Reserve Bank of Atlanta am Freitag. "Und ich bin zuversichtlich, dass dieses Momentum stark genug ist, uns durch die nächste Welle zu tragen, wie auch immer sie ausfällt."

Ähnlich äusserte sich in Europa Luis de Guindos, der Vizepräsident der EZB: "Die Effekte auf die Wirtschaft werden begrenzter sein als letztes Jahr."

Eher beruhigend auch die Einschätzung von Paul Donovan: "Wir müssen die Ängste vor dem Virus beobachten, um die ökonomischen Folgen zu verstehen", so der Chefökonomen von UBS Global Wealth Management: "Die Reisebeschränkungen der Regierungen stellen die offizielle Furcht dar, aber die Evidenz deutet bislang an, dass die Konsumenten weniger ängstlich sind (vielleicht ermutigt durch Berichte über milde Symptome)."

Und weiter: "Zu diesem Zeitpunkt scheint es unwahrscheinlich, dass die Omikron-Variante das wirtschaftliche Narrativ ändert, aber es wird bestimmte Probleme schaffen."

Fazit: Es geht ums Management der Ängste

Eine vorübergehender Rückschlag oder ein weiterer Schritt in die grosse Stagflation? Das von Paul Donovan erwähnte vorherrschende "Narrativ" besagt immer noch, dass der Weg zur Erholung fortgesetzt wird.

Die Ökonomen von Goldman Sachs, der führenden Investmentbank, kamen übers Wochenende ebenfalls zum Schluss, dass die Erwartungen wegen Omikron vorerst nicht angepasst werden müssen.

Und auch die Credit Suisse tendiert zur Haltung, dass die jetzigen Befürchtungen eher eine Delle auf dem Weg zur Erholung sind: "Sollten die Einschränkungen verschärft werden müssen, könnte der kurzfristige Wachstumsausblick der Eurozone nach unten korrigiert werden", so Chief Investment Officer Michael Strobaek. "Doch da die Impfkampagnen voranschreiten und neue Antiviren-Medikamente auf breiterer Basis verfügbar werden, halten wir an unserer Prognose fest, wonach das Wachstum über Trend verharren wird."

Allein – sicher sei nur eines, so Rob Subbaraman von Nomura: dass die wirtschaftliche Unsicherheit nun noch grösser ist. Die Ökonomen bräuchten "eine grosse Dosis Demut, wenn sie die Aussichten für 2022 prognostizieren."

(rap, mit Material von "Bloomberg")

Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: "Wie Omikron die wirtschaftliche Erholung bedrohen könnte"