Ein belarussisches Militärflugzeug habe eine Ryanair-Passagiermaschine am Sonntag über belarussischem Gebiet abgefangen und zur Landung in der dortigen Hauptstadt gezwungen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Belta. Unter den Passagieren befand sich der im Exil lebende Blogger Roman Protasewitsch, der in Minsk festgenommen wurde. Der Vorfall löste in der EU scharfe Reaktionen aus. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Norbert Röttgen, sprach von "Staatsterrorismus".
Die Boeing der Gesellschaft Ryanair befand sich auf dem Weg von Athen nach Vilnius. Kurz vor der geplanten Landung in der litauischen Hauptstadt habe ein belarussischer Kampfjet des Typs MiG-29 die Passagiermaschine zum Beidrehen und zur Landung in Minsk gezwungen, sagte die Beraterin des litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda, Asta Skaisgiryte. An Bord hätten sich 170 Passagiere aus zwölf Ländern befunden. Geheimdienste in Minsk hätten gewusst, dass unter ihnen auch der Belarusse Protasewitsch gewesen sei, der seinen Wohnsitz im litauischen Exil habe.
Der belarussischen Nachrichtenagentur Belta zufolge ordnete Lukaschenko selbst die Landung der Passagiermaschine in Minsk an. Zur Begründung hieß es jedoch in dem Bericht, dass es eine Meldung über explosive Stoffe an Bord gegeben habe. Derartige Stoffe seien aber nicht gefunden worden. Ryanair teilte mit, der Pilot sei unterwegs von belarussischer Seite über eine mögliche Gefährdung der Sicherheit an Bord informiert und zur Landung in Minsk angewiesen worden. Dort hätten die Passagiere die Maschine verlassen müssen.
"Unfassbarer Fall von Staatsterrorismus"
Protasewitschs Nachrichtenkanal auf dem Messaging-Dienst Telegram zählt zu den wichtigsten Informationsquellen der Opposition in Belarus. Das Land hatte den 26-Jährigen nach den Massenprotesten gegen Lukaschenko vom vergangenen Jahr zur Fahndung ausgeschrieben. Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die derzeit ebenfalls in Litauen lebt, sprach am Sonntag ebenso wie die belarussische Behörde für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens von einer Festnahme Protasewitschs. Die Behörde löschte allerdings ihre entsprechende Mitteilung auf Telegram nach kurzer Zeit wieder.
Der litauische Präsident Gitanas Nauseda protestierte gegen die erzwungene Zwischenlandung und die Festnahme. "Ich rufe die Verbündeten in Nato und EU auf, unverzüglich auf die Bedrohung zu reagieren, die das belarussische Regime für die internationale Zivilluftfahrt ausgelöst hat", erklärte er. Der griechische Ministerpräsident Minister Kyriakos Mitsotakis bezeichnete den Vorfall als "beispiellos und schockierend". Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja erklärte, Belarus habe für die Festnahme die Sicherheit der Passagiere und der Zivilluftfahrt aufs Spiel gesetzt.
Deutschland verlangte eine Stellungnahme von Belarus. Die dortige Regierung müsse sich umgehend zu der Umleitung des Flugs und der berichteten Festnahme eines Journalisten erklären, twitterte der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Miguel Berger. Der CDU-Außenpolitiker Röttgen reagierte schärfer. "Wenn sich die Informationen bestätigen, handelt es sich um einen unfassbaren Fall von Staatsterrorismus", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. "Dieser müsste eindeutige Konsequenzen nach sich ziehen."
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärte, der Vorfall sei inakzeptabel. Verletzungen der internationalen Luftverkehrsregeln müssten Konsequenzen nach sich ziehen. Sie forderte zudem Belarus auf, allen Passagieren der Ryanair-Maschine unverzüglich die Weiterreise nach Vilnius zu ermöglichen.
Lukaschenko regiert Belarus seit 1994. Im vergangenen Jahr hatte er Massenproteste gegen seine offizielle Wiederwahl im August gewaltsam niederschlagen lassen. Menschenrechtsgruppen zufolge nahmen die Behörden seitdem rund 35'000 Personen fest. Lukaschenko wird von Russland unterstützt, das Belarus als Pufferstaat gegen die Europäische Union und die Nato sieht.
(Reuters)