"Wenn sie den Mittelstand wirklich stärken will, wie sie es in ihrer Bewerbungsrede ansprach, würde das einen Schub für Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt in der EU bedeuten", sagte der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie sollte allerdings davon Abstand nehmen, mit einer europäischen Arbeitslosenversicherung das Umverteilungskarussell immer schneller zu drehen." Ähnlich äusserte sich Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: "Die Wettbewerbsfähigkeit muss im Vordergrund stehen, nicht neue europäische Regulierungen."

Kritik kommt auch vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). "Zentralistische Massnahmen wie etwa ein EU-Mindestlohn schwächen die Wettbewerbsfähigkeit der EU, anstatt sie zu stärken", sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr. "Möglicherweise musste von der Leyen solche Zusagen machen, um ausreichend Stimmen zu bekommen, doch damit bezahlt sie einen hohen Preis für ihre Präsidentschaft." Lohnpolitik müsse Sache der Nationalstaaten bleiben. Für schwächere Volkswirtschaften "kann ein EU-Mindestlohn zur Belastung werden", warnte Felbermayr.

Arbeitgeberpräsident Kramer fordert, dass die EU unter von der Leyen stärker als jemals zuvor als Verteidigerin des Freihandels auftritt. "Deshalb muss die Kommission noch besser gegen Protektionismus im Binnenmarkt vorgehen - denn dieser ist das Herzstück der europäischen Integration und bleibt zentral für alle Unternehmen und Bürger in Europa", sagte der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Auch der Aussenhandelsverband BGA sieht in der "Sicherung eines regelgebundenen internationalen Handels" eine der grossen Herausforderungen für von der Leyen, wie Präsident Holger Bingmann erklärte.

Verschiedene Projekte sollen angegangen werden

Die Abgeordneten des Europaparlaments hatten die CDU-Politikerin am vergangenen Dienstabend gewählt. Ihre Amtszeit beginnt im November. Vor den EU-Abgeordneten nannte von der Leyen eine Reihe von Projekten, die sie in einer fünfjährigen Amtszeit angehen möchte. So versprach sie ein CO2-neutrales Europa bis 2050 und kündigte einen "green deal" für Europa an. Die CDU-Politikerin setzte sich zudem für eine europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungen in der EU sowie national definierte Mindestlöhne ein. Die Erasmus-Förderung für den Austausch von Studenten und Auszubildenden will sie verdreifachen.

Es sei bemerkenswert, dass sie versprochen habe, als EU-Kommissionspräsidentin auch wichtige deutsche Tabus zu brechen, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. "So hat sie mit ihren Forderungen nach Flexibilität in der Finanzpolitik und bei den Schulden, für eine Rückversicherung für Arbeitslose, für Mindestlöhne in ganz Europa, für die Vollendung der Bankenunion mit einer Einlagensicherung und der Stärkung von Frauenrechten wohl bewusst rote Linien der Bundesregierung und vor allem der CDU überschritten."

Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken plädiert dafür, als Lehre aus der Finanzmarktkrise Risiko und Haftung nicht noch einmal auseinanderfallen zu lassen. "Das gilt besonders für alle Schritte bei der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion und insbesondere der Bankenunion", hiess es dazu. "Es darf keine leichtfertige Vergemeinschaftung der europäischen Einlagensicherungen geben."

(Reuters)